So befreiend kann das Coming-out sein


ERGO Mitarbeiter Sascha Krausen und Torsten Askerlund im Interview

Magazin, 09.10.2020

Offen zu der eigenen sexuellen Orientierung stehen zu können – für viele Menschen aus der LGBT+ Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) ist das auch im Jahr 2020 nicht einfach. Zum Coming Out Day am Sonntag (11.10.2020) erzählen die ERGO Mitarbeiter Sascha Krausen und Torsten Askerlund über ihr Outing und wie es ihr Leben verändert hat.

Coming Out Day 2020: Interview mit Sascha Krausen und Torsten Askerlund

„Ich bin schwul“ – war das ein langsamer Prozess bis zu dieser Erkenntnis oder ein Aha-Moment? Und was war Ihre eigene erste Reaktion?

Sascha Krausen: Mir ist im Alter von 16, 17 Jahren aufgefallen, dass irgendwas anders ist. Damals habe ich auch Freundinnen gehabt. Mit 19 Jahren war ich abends in Köln in einem Club, wo auch Schwule und Lesben gefeiert haben. Am nächsten Morgen beim Frühstück hat mich meine Mutter dann direkt gefragt, ob ich mehr auf Männer stehen würde als auf Frauen. Da war ich total überrascht. Abends habe ich dann noch mit meinen Eltern gesprochen und gesagt, dass es sein könnte, dass ich schwul bin.

Torsten Askerlund: Das war ein sehr langsamer Prozess bei mir. In der Pubertät habe ich gespürt, dass bei mir etwas anders ist. Ich fand Mädels damals schon ganz nett, aber auf eine andere Art und Weise. Erst als ich für das Studium in eine andere Stadt gezogen bin, habe ich angefangen meine Neigung auszuleben. Da war ich Mitte bis Ende zwanzig. Der Wendepunkt war, als ich mich nach meinem Berufseinstieg in jemanden verliebt habe. Das hat den Ausschlag gegeben, dass ich auch zu meinem Schwul sein gestanden habe.

Wie war Ihr Coming-out gegenüber Ihrer Familie und Ihren Freunden?  

Krausen: Meine Eltern hatten bis zu meinem Coming-out keinen Kontakt zu Homosexuellen und waren anfangs etwas unsicher. Aber sie haben damals richtig toll reagiert und es sehr entspannt aufgenommen. Sie stehen richtig hinter mir. Meine Großeltern hatten auch überhaupt gar kein Problem damit. Und meine Schwester hat mir direkt gesagt, dass sie es super findet, dass ich schwul bin.

Askerlund: Für meine Freunde war mein Coming-out überhaupt kein Problem. Da hatte ich vorher schon Sorge. Aber sie sagten, dass sie sich das schon gedacht hätten, weil ich ja auch nie eine Freundin hatte. Meine Eltern waren anfangs schon etwas skeptisch, haben das dann aber doch recht schnell akzeptiert. Als ich ihnen meinen Freund vorgestellt habe, haben sie ihre Klischees komplett abgelegt und ihn auch in die Familie integriert.

Haben Sie Ihr Coming-out geplant oder war es eher spontan?

Askerlund: Ich habe es geplant und ich habe mich damit auch echt schwergetan. Ich habe lange überlegt: Wann machst du es am besten? Am Wochenende? Oder wenn sie Zeit haben? Je mehr ich das geplant hatte, umso verkrampfter wurde ich. Als die Reaktion positiv war, sind mir mehrere Steine vom Herzen gefallen.

Das Coming-out im Büro – warum war Ihnen das wichtig und wie haben Ihre Kolleginnen und Kollegen reagiert?

Krausen: Damit habe ich mir schon schwergetan. Es wurde dann eher eine schleppende Angelegenheit. Ich habe häufig gesagt, dass ich mit Freunden unterwegs und Single bin. Ich hatte schon Sorge, dass die Reaktionen nicht gut sein würden. Nach und nach habe ich mich aber geöffnet und auf einer Weihnachtsfeier sagte ich das offen gegenüber meinen Kollegen. Die haben dann auch super reagiert und direkt gesagt, dass sie es sich eh schon gedacht hätten.

Askerlund: Das Coming-out bei der Arbeit habe ich gar nicht selbst gemacht. Eine Kollegin, mit der ich gemeinsam im Büro saß und mit der ich mich sehr gut verstanden habe, hat das sozusagen übernommen. Bei einem Treffen mit Arbeitskollegen, bei dem ich nicht dabei war, hat sie dann ein bisschen flapsig gesagt: „Der Torsten, der sieht ja ganz gut aus, aber der ist ja schwul.“ Das hat sie mir am nächsten Tag dann auch noch mal erklärt. Die Kollegen haben das aber super aufgenommen. Es gab nicht eine einzige komische Bemerkung.

Hat sich nach Ihrem Coming-out etwas für Sie verändert – privat oder im Beruf?

Krausen: Ich fühle mich seitdem freier, weil ich zu dem stehen kann, was ich bin. Ich kann das Leben so leben, wie ich es möchte. Auch bei meinen Arbeitskollegen kann ich privates offen erzählen, ohne etwas zu verschweigen. Ich muss mich da nicht zurücknehmen. Und das macht mich glücklich.

Askerlund: Ich bin ein Stück weit selbstbewusster und offener geworden und habe mehr zu mir selbst gestanden. Vorher habe ich mich schon recht stark zurückgezogen, obwohl ich einen großen Freundeskreis hatte. Nach dem Coming-out habe ich gemerkt, dass ich das gar nicht mehr brauche.

Warum ist ein Tag wie der "Coming Out Day" wichtig für die LGBT+-Community?

Krausen: Ich finde den Tag super, weil dadurch ins Bewusstsein gerufen wird, dass jeder dazu stehen kann, wer er ist. Besonders viele junge Menschen sind da sicherlich noch unsicher. Solche Tage zeigen, dass sie nicht alleine sind und es Anlaufstellen für sie gibt. Es gibt immer Hilfe und Unterstützung.

Askerlund: Es ist wichtig, um ein Zeichen zu setzen. So bleibt das Thema im Bewusstsein der Leute. Ich merke schon, dass viele junge Menschen Sorge vor ihrem Coming-out haben, weil sie fürchten, diskriminiert zu werden. Und darauf macht der Tag ja auch aufmerksam.

Wie divers ist ERGO Ihrer Meinung nach in punkto LGBT+?

Krausen: Vor zwei Jahren habe ich das Diversity-Team bei ERGO angesprochen und wurde dort sehr positiv aufgenommen. Das ERGO Pride Netzwerk ist ja mittlerweile gegründet und entwickelt sich immer weiter. Ich selbst bin Standortsprecher für das Netzwerk in Köln.

Askerlund: Das Pride-Netzwerk trägt wesentlich dazu bei, dass Diversität im Unternehmen gelebt wird. Es hilft Kollegen, die sich nicht trauen sich zu outen.

Wie wichtig ist es denn, dass es das ERGO Pride Netzwerk gibt?

Krausen: Sehr wichtig. Ein offener Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung am Arbeitsplatz sollte „normal“ sein. In vielen Unternehmen ist das aber wohl leider nicht der Fall. Unser ERGO Pride Netzwerk tritt für ein Arbeitsumfeld ohne Diskriminierung und für Vielfalt ein.

Was sind die wichtigsten Schritte die das Netzwerk jetzt angehen sollte?

Askerlund: Das Netzwerk muss mehr in die Öffentlichkeit treten und zeigen, dass es verschiedene Geschlechterformen gibt und dass diese für das Miteinander im Job vollkommen egal sind. Die Selbstverständlichkeit ist es, die den Umgang in der täglichen Arbeit so natürlich und ungezwungen macht. Darüber hinaus ist das Netzwerk auch eine wichtige Anlaufstelle, um Hilfestellungen zu geben und sich zu erkundigen.

 

Das Interview führte Benjamin Esche.

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