Arbeit in internationalen Teams


Das bringt kulturelle Diversität

Magazin, 06.03.2020

Ein IT-Spezialist aus Indien, ein Produktions­designer aus Spanien und eine Ingenieurin aus Deutschland – mittler­weile gehört es zum Alltag zahl­reicher Firmen, dass die Mit­arbeitenden aus allen Ecken der Welt stammen. Kulturelle Diversität verheißt kreative und innovative Ideen, bedeutet aber auch eine Heraus­forderung.

Ein Meeting in der Marketing­abteilung eines deutschen Unter­nehmens. Die Team­leiterin kritisiert die Werbe­strategie eines Grafikers – sie entspreche nicht dem ursprünglich geäußerten Wunsch, es müsse ein neuer Vorschlag gefunden werden. Der Angesprochene, ein Franzose, ist am Boden zerstört. Die Angst, erneut etwas falsch zu machen, lähmt ihn, und er rechnet mit seiner baldigen Entlassung. Für die deutsche Team­leiterin war es hingegen ein ganz normales Treffen, und es liegt ihr fern, in einer solchen Situation jemandem zu kündigen.

„Dieses Beispiel zeigt, wie schnell wir uns mitten in einem inter­kulturellen Konflikt befinden“, sagt Alexander Reeb, der in Göttingen ein Institut gegründet hat, das Unter­nehmen, Organisationen und Einzel­personen in inter­kultureller Kompetenz schult. „Denn in Deutschland wenden wir eine direkte Kommunikation an. Wir äußern sehr offen auch kritische Dinge, weil wir davon ausgehen, dass es um die Sache geht, nicht um die Person. Mit dieser Art stehen wir weltweit allerdings relativ allein da. Die Gefahr, dass wir in einem inter­nationalen Team mit dieser Kommunikation jemandem auf die Füße treten, ist ziemlich groß.“

Die Globalisierung verbindet und vernetzt die Menschen auch am Arbeits­platz. Entweder stammen die Kollegin oder der Kollege am Schreib­tisch gegenüber aus einer anderen Kultur. Oder man wurde, infolge der Expansion der Firma, ins Ausland entsandt. Ebenso existieren virtuelle Teams, die per Videochat, WhatsApp und via E-Mail geografische Grenzen überwinden. Kein Wunder, dass inter­kulturelle Kompetenz mittler­weile als Schlüssel­qualifikation gilt. Doch wie Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander kommunizieren will gelernt sein.

Kommunikation über Kommunikation

Trainer für interkulturelle Kompetenz unterscheiden Kulturen hinsichtlich der Direktheit, mit der sich deren Angehörige miteinander austauschen. Der in Deutschland verbreiteten direkten Kommunikation steht die indirekte Kommunikation zahl­reicher anderen Länder gegen­über – vor allem asiatischer, in der eine offene Konfrontation zugunsten eines harmonischen Miteinanders eher vermieden wird. Aber auch Franzosen, Spanier, Briten, Schweizer, Österreicher oder Russen bevorzugen es, Kritik verhalten mitzuteilen.

Wer hat an der Uhr gedreht?

Mit Ausnahme der Sprache gibt es kaum etwas, in dem Kulturen sich so stark unter­scheiden, wie in ihrem Zeit­empfinden. In Mittel- und Nord­europa sowie in angel­sächsischen Kulturen erleben die Menschen die Zeit als messbar und linear – man spricht von „monochroner Zeit­wahr­nehmung“. Pünktlichkeit wird in der westlichen Welt entsprechend hoch geschätzt.

Anders sieht es in kollektivistischen Kulturen mit polychroner Zeit­wahr­nehmung aus. Termine gelten als grobe Orientierung, Arbeits­prozesse und die daran beteiligten Personen werden als wichtiger erachtet. Alexander Reeb: „Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Meeting an einem entscheidenden Punkt angelangt, offiziell ist der Termin jedoch zu Ende. Sie beenden das Treffen aber nicht, weil Sie dem Prozess den Vorrang geben. Zum anschließenden Meeting kommen Sie dann natürlich zu spät. Aber als Angehöriger oder Angehörige einer poly­chronen Kultur würden Sie sich auch für die nach­folgende Person mehr Zeit nehmen und abends gegebenen­falls Überstunden machen. Unpünktlichkeit muss also nicht etwa einen laxen Umgang mit der Zeit bedeuten. Es werden unter Umständen einfach Prioritäten anders gesetzt.“

„In Kulturen mit indirekter Kommunikation kämen Meetings, in denen die Leistung eines Mit­arbeitenden in Anwesenheit anderer infrage gestellt wird, einem Gesichts­verlust gleich. Alternativ würde ein Team­leiter oder eine Team­leiterin den Kollegen oder die Kollegin vor oder nach dem Treffen abpassen, sich zunächst nach dem Familien­leben erkundigen, die Person wortreich für Geleistetes loben und erst dann vorsichtig Kritik einfließen lassen, sagt der Ethnologe und Jurist Alexander Reeb. „Erst zu einem Zeit­punkt, an dem die persönliche Beziehung bereits deutlich geschädigt ist, findet ein Chef oder eine Chefin sehr klare Worte – und tatsächlich ist dann die Kündigung nicht mehr weit entfernt.“

Wie funktioniert inter­nationale Zusammen­arbeit?

Teamleiterinnen und Teamleiter, die ihre Kritik am liebsten in blumige Worte verpacken, und solche, die in der Wunde bohren, damit das Gesagte auch wirklich verstanden wird – wie soll das in einem inter­nationalen Team zusammen­gehen? Zumal weitere, mitunter schwer zu fassende Dinge hinzukommen. Beispiel Blick­kontakt. Das Gegen­über während eines Vortrags nicht anzuschauen deuten Deutsche rasch als Desinteresse. Angehörige etwa afrikanischer Kulturen drücken dadurch aber vielmehr Respekt vor einer höher­gestellten Person aus. Und in nordischen Ländern ist es üblich, im Raum einen größeren Abstand zu Partnerinnen und Partnern einzunehmen als in Ländern des geografischen Südens. Das jeweils andere Extrem kann irritieren. „Aber“, erläutert Alexander Neeb, „hier haben wir es mit tief in der Kultur verwurzelten Verhaltens­weisen zu tun. Da kann man nicht einfach sagen: Lass das künftig mal!“

Grundsätzlich, so Reeb, erfolge der Aufbau eines inter­nationalen Teams nach den gängigen Regeln der Gruppen­bildung, die eine Orientierungs­phase („Forming“) voraussetzen, eine Konflikt­phase („Storming“), eine Regelungs­phase („Norming“) sowie eine Leistungs­phase („Performing“). Hinzu kommt das Erarbeiten der inter­kulturellen Kompetenz. Hierbei sollen Werte und Normen der anderen im Team vertretenen Kulturen mithilfe von Länder-Experten vermittelt werden. Teil­weise gibt es dafür praktische Übungen, in denen die Teilnehmenden erfahren, wie es sich anfühlt, wenn etwa der persönliche, aber kulturell determinierte Nähe-Bereich unter- oder über­schritten wird. „Man sensibilisiert also zunächst für bestimmte Themen. In einem zweiten Schritt kann dann geschaut werden, wie das gewonnene Wissen ins eigene Team integriert wird. Letztlich wird sich die Team­kultur wohl weit­gehend an dem Land orientieren, in dem das Unter­nehmen angesiedelt ist.“ Auch nach der Gründung eines Teams gilt es, am Ball zu bleiben – durch prozess­begleitende Coachings für Mitarbeitende und Führungs­kräfte.

Bei aller interkulturellen Kompetenz, so der Kommunikations­trainer, dürfe man aber nie vergessen, dass man nicht nur Vertreterinnen oder Vertreter einer anderen Nation vor sich habe, sondern Individuen mit einer jeweils eigenen Biografie. „Den Menschen mit seinen Vor­erfahrungen und aktuellen Bedürfnissen wahr­zunehmen ist auch in inter­nationalen Teams sicherlich nie verkehrt“, davon ist Alexander Reeb über­zeugt.

Drei Tipps für die inter­nationale Zusammen­arbeit in Teams

1. Nehmen Sie sich viel Zeit in der Start­phase

Es lohnt sich, dem Erwerb der inter­kulturellen Kompetenz viel Zeit einzuräumen und die einzelnen Team­mit­glieder kennen­zu­lernen. Externe inter­kulturelle Trainer können eine sinnvolle Investition sein. Denn trotz Diversität einfach zu denken „Das wird schon – wir sind ja alle letztlich gleich“ führt in eine Sackgasse.

2. Klären Sie die Erwartungen!

Setzen Sie sich mit Ihren eigenen Erwartungen und den­jenigen der anderen intensiv aus­einander. Wie passen diese Erwartungen zusammen? Wie kann Kommunikation oder die Kommunikation über Kommunikation helfen, diese Erwartungen zu einen? Dem Thema „Erwartungen“ ist bei der inter­nationalen Zusammen­arbeit in Teams besonders viel Beachtung zu schenken.

3. Nutzen Sie das volle Potenzial Ihrer inter­nationalen Team­kollegen!

ie Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen kann extrem bereichern – beruflich wie privat. Wer die Möglichkeit dazu hat, sollte offen für den Austausch sein und sich auch mit einer fremden Heran­gehens­weise vertraut machen. Es lohnt sich.

Dieser Beitrag ist zuerst auf zeit.de am 24.10.2019 erschienen.

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