Dein Weg Ali Can: Hotline für besorgte Bürger

(Hier spreche ich beim renommierten TEDx Berlin vor 700 Menschen)

Ich bin der älteste Sohn einer immigrierten, kurdisch-alevitischen Familie aus dem Südosten Türkei. Kurdische Aleviten wie wir sind eine Minderheit in der Türkei, die bis vor kurzem noch streng verfolgt wurde. Der letzte Brandanschlag, eine Art Progrom, gegen Aleviten fand in seinem Geburtsjahr statt. Aleviten sind nämlich weit aus liberaler und leben ohne Dogmen als die Sunnitische Mehrheit der Muslime. Zusätzlich sind Kurden staatenlos und der blutige Türken–Kurden-Konflikt existiert seit Jahrzehnten. Mit also zwei Minderheiten-Eigenschaften auf einmal hatte es meine Familie sehr schwer in der Türkei und ist dem entflohen.

Ich bin aber noch in der Türkei (im Südosten in Pazarcik) am 31.10.1993 geboren. Meine Eltern beschlossen 1995 jedoch eben aufgrund der oben genannten Verfolgung und Diskriminierung von kurdischen Aleviten in Deutschland Asyl zu ersuchen.

In Deutschland, zunächst in Warendorf (im Münsterland), waren wir mehrere Jahre geduldet mit einem unsicheren Asylprozess. Ich bekam nach der 4. Klasse eine Hauptschul-Empfehlung, doch da die Eltern eines guten Freundes mir rieten, trotzdem die Realschule zu besuchen, ließ ich mich an der städtischen Von-Galen-Realschule in Warendorf einschreiben. Ohne die Hilfe meiner deutschen Freunde hätte ich diesen Schritt nicht wagen können. Daher bin ich mein Leben lang dankbar für die Unterstützung meiner Mitmenschen - Weil sie an mich geglaubt haben, habe ich das auch und bin dann auf die Realschule.

2007 bekamen wir glücklicherweise unseren ersten eingeschränkten Aufenthaltstitel – wir konnten durchatmen. Damit waren wir endlich in der Lage, z.B. frei in Deutschland umzuziehen. Wir zogen 2008 zu meinem Onkel nach Pohlheim, bei Gießen.

In Pohlheim besuchte ich die Gesamtschule mit Realkursen. Da mein Vater zunächst arbeitslos war und wir nah an der Armutsgrenze lebten, war es mir wichtig, mehr aus meinem Leben zu machen. Noch in der Sekundarstufe I waren meine Noten mir immer wichtiger und ich verbesserte sie ohne Nachhilfe. Meine Eltern können noch immer nur gebrochen deutsch, meine Mutter ist Analphabetin und mein Vater hat nur die Grundschule besucht – Also bekam ich nie Hilfe Zuhause. Doch selbstständig wurde ich besser, so dass ich nach der 10. Klasse mich für die gymnasiale Oberstufe bewarb und genommen wurde. In der Oberstufe wurde ich das erste Mal richtig vertraut mit deutscher Literatur und Philosophie. Ich wusste, dass in diese Richtung studieren wollte. Mein Ziel war, auch Lehrer zu werden und in der Zukunft Jugendliche wie mich zu ermutigen. Ein Lehrer hat erheblichen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes und seine schulische und damit berufliche Laufbahn. Umso wichtiger halte ich es, dass Lehrer sensibel, konstruktiv und wohlmeinend sind und guten Unterricht machen.

Ich fing in Gießen in der Nähe meiner Eltern an, Deutsch und Ethik auf Lehramt zu studieren. Neben meinem Lehramtsstudium begann ich mich in zahlreichen Organisationen ehrenamtlich zu engagieren. Die meiste meiner Zeit widmete ich UNICEF, der Weltkinderhilfs-Organisation der Vereinten Nationen. Ich gründete mit einem Freund gemeinsam die UNICEF-Hochschulgruppe und sammelte Spenden für arme Kinder in fernen Ländern. Mein Motto war: Think Global, Act Local.

Ab dem Jahre 2014 merkte ich, dass mit der zunehmenden Einwanderung von geflüchteten Menschen der Ton gegenüber ihnen rauer und gehässiger wurde. Ablehnende, hasserfüllte und rechtspopulistische Stimmen wurden immer lauter. Und ich hatte das Bedürfnis, dass wir miteinander in Frieden leben – trotz unterschiedlicher Kulturen. Also begann ich im Jahr 2015 mit der interkulturellen Arbeit in Form von Workshops, Seminaren und Vorträgen. Ich veranstaltete Seminare zum Umgang mit kultureller Vielfalt.

Im Januar 2016 hatte ich ein Schlüsselerlebnis, wo ich das bekannte Clausnitz-Video sah, bei dem eine wütende Menschenmenge einen Bus mit geflüchteten Frauen und Kindern blockierte. Das Video machte ich mich so traurig, schockierte mich derart, dass ich mich fragte, ob ich etwas tun kann, damit Menschen einander nicht so fremdenfeindlich und mit Groll begegnen. Doch in meiner gesamten Recherche habe ich dazu nichts gefunden.

Also habe ich mich dazu entschlossen, mein Studium auf Eis zu legen und nach Ostdeutschland zu reisen, um mit PEGIDA-Demonstranten und anderen wütenden und besorgten Bürgerinnen und Bürgern in den Dialog zu treten. Ich wollte herausfinden, was diese Menschen bewegt und wie ich mit den Ängsten, Sorgen und Vorbehalten der Menschen umgehen könnte. Zwar warnte mich meine Familie, hinzufahren. Freunde sagten, es könnte mir etwas passieren. Doch ich wusste, ich musste die Menschen kennenlernen, damit wir miteinander und nicht übereinander reden… – auch, wenn das gefährlich war. Doch wenn Angst uns ständig leiten würde, würden wir vielen Menschen und Situationen aus dem Weg gehen und nicht nach einer Lösung suchen.

Ich sammelte neben negativen auch positive Erfahrungen, mein wertschätzender Ansatz stoß auf Verwunderung und Interesse. Denn ich brach aus dem Schubladendenken vieler heraus und bewirkte, dass wir uns von Mensch zu Mensch unterhielten. Und je länger ein Mensch sprach, umso mehr konnte ich hinter den Parolen ihr eigentliches Interesse hören. Gleichzeitig musste ich selbst meine eigenen Schubladen neusortieren. Durch ein großes Pegida- und Sachsen-Bashing hatte ich ja auch selbst Vorurteile und lernte aber so, dass nicht jeder Mensch, der Probleme der Zuwanderung ansprach, gleich ein Rassist war. Das ist das Schöne: Wenn wir miteinander auf Augenhöhe sprechen und einander erstmal zuhören, dann ergeben sich auch konstruktive Gespräche, wo wir Probleme eher als Herausforderungen sehen können.

Ich merkte, wie verschieden die Anliegen der Leute waren und dass man mit offenem Zuhören viel weiter kam, als mit Belehrungen! Ich habe viele schöne Gespräche gehabt und selbst die Pegida-Teilnehmer schätzten mein offenes, wertschätzendes Interesse, dass wir für einander Verständnis schaffen.

Wochen später meldete sich anonym eine Frau, die ich scheinbar bei Pegida kennengelernt hatte, und sie wollte mir eine Anekdote erzählen. Meine Nummer hatte sie im Internet gefunden und erzählte, dass sie einen netten Flüchtling getroffen habe. Ich, natürlich glücklich über ihre Begegnung, war fortan motiviert, öfter mit besorgten Bürgern zu sprechen. Das bewog mich dazu, die Hotline für besorgte Bürger zu gründen.

Dieses kostenloses Bürgertelefon war für mich zuerst nur ein ehrenamtliches Engagement. Ich hätte nie erahnt, dass das auf so hohes Interesse stoßen würde. Ich war mir nicht bewusst, dass meine wertschätzende Art und meine Kritik zum Umgang mit besorgten Bürgern eine Richtungsweisung in der aktuellen politischen Debatte auslösen würde. Drei Wochen nach der Gründung meldeten sich alle Medien, angefangen bei SPIEGEL ONLINE, ZEIT bis zur Sueddeutschen, NEON Magazin, WELT, Focus, Stern … Ich kam mit meinem neuen Wertschätzenden Ansatz ins Fernsehen, z.B. ins ARD Morgenmagazin. Es war unglaublich, wie viele Anfragen ankamen. Ich bin mit meinen Erkenntnissen und Aktionen auf ein aktuell sehr wichtiges Thema gestoßen und die Menschen wollten mehr über meinen Ansatz erfahren: Institute (Goethe, Gustav-Stresemann, Stiftungen (Konrad-Adenauer, Friedrich-Ebert…), Parteien und zahlreiche Vereine meldeten sich für Workshops und Vorträge. Gleichzeitig meldeten sich Verlage, und ich bekam als nur 23 Jährige Mensch die Gelegenheit, bei einem großen Verlag ein Buch zu schreiben.

Aufgrund des hohen Interesses folgte schon ein Jahr später, am 25. August 2017 mein gleichnamiges Buch.

Um meinen Ansatz weiter zu verbreiten, gründete ich den gemeinnützigen Verein „Interkultureller Frieden e.V.“. Der Verein hat zum Ziel, fremdkulturelle Verständigung zu fördern und weitere Projekte zu initiieren, die mit einem Ansatz von Respekt in alle Richtungen Begegnungen fördern und Vorurteile und Ängste abbauen. Ich war plötzlich ein gefragter Friedensstifter und Brückenbauer, der mehr in der Richtung machen wollte. Schließlich wollte ich, dass der Spalt in der Gesellschaft kleiner wird und wir Menschen lieber friedlich miteinander in den Dialog kommen. 

Auch politisch fing ich an mich mehr und mehr zu engagieren und seinen Ansatz von wertschätzendem Dialog einzubauen. Und bei Politik denken die Meisten an alte Menschen, doch ich wollte, dass wir, als junge Generation mehr machen und Verantwortung übernehmen. Vorbild sein, zum Engagement anregen und was in die Hand geben, so dass junge Menschen sich politisch engagieren können – das war mein Ziel.

So initiierte ich den Kongress junger Demokraten 2017, bei dem ich junge Leute unterschiedlichster politischer Orientierung zusammenbrachte und sie motivierte, dass gegenseitiger Respekt immer an erster Stelle steht und wertschätzender Dialog auch bei kontroversen Themen möglich ist. Die Jugendlichen lernten in Workshops Streitkultur, den Wert von Europa, Wege, wie sie Aktionen auf die Beine stellen konnten. Das ganze fand in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung statt.

Zudem organisierte ich im Oktober 2017 eine Großdemo gegen Rassismus im Bundestag. Auch dabei ging es darum sich ungeachtet von politischer Orientierung gegen salonfähig gewordenen Rassismus zu positionieren. Die Demo inspirierte 12.000 Menschen auf die Straßen zu gehen. Ich organisierte die Demo mit Freunden und befreundeten Organisationen innerhalb von 4 Wochen. Tagesschau, BBC, Zeit, Süddeutsche … alle bekannten Medien berichteten über die Demo. Wieder einmal war es gelungen, ein großes Zeichen zu sein für mehr Respekt.

Nun bin ich weiterhin als Aktivist unterwegs und plane den nächsten großen Meilenstein: In Essen bin ich in der Gründung des ersten Zentrums für Respekt in Deutschland. Dort in dem Zentrum werden Vereine, Initiativen, Religionen, Gruppen und Leute kostenlos Räume bekommen, damit sie sich engagieren können und zu Respekt beitragen. Ich lebe gerade meinen Traum vom interkulturellen Frieden. Ich kann mir noch immer nicht recht vorstellen, wie ich mit einer Idee vor knapp 2 Jahren nun hier gelandet bin. Letztens wurde sogar eine Reportage über mein Engagement im Japanischen Fernsehen gesendet. Ich will andere für mehr Engagement ermutigen und gehe als Beispiel voran. Vom ehemaligen Asylsuchenden, dessen Eltern ungebildet sind, die arm waren… Nun zu einem wichtigen Akteur in der Integrationsdebatte und im Engagement-Bereich.

Hotline für besorgte Bürger

https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-268535.html

Großdemo gegen Hass und Rassismus

https://www.youtube.com/watch?v=A069kduNt8s

Meine offizielle Webseite

http://www.ali-can.de

 

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