Programmieren muss Allgemeinbildung werden!


Digitalisierung & Innovation, 09.04.2018

Kaum im neuen Amt, hat die Staatsministerin für Digitales gleich einen Punkt gesetzt. Das Programmieren solle zum Pflichtfach an allen Schulen werden, fordert Dorothee Bär. Ja, Deutschland hat im europäischen Vergleich in Sachen Digitalisierung immensen Nachholbedarf, an vielen Stellen. Da fragen manche, ob ausgerechnet die Forderung nach einem Pflichtfach Programmieren an Schulen die wichtigste Baustelle ist. Meine Antwort ist: ja!

In Sachen Digitalisierung haben wir in Deutschland eine Menge Arbeit vor uns: Hierzulande besteht Nachholbedarf in vielen Dimensionen, vom Breitbandausbau über öffentliche Hotspots bis hin zu Cyber Security „Made in Germany“.

Dröge mathematische Formeln, die nur die Nerds verstehen

Sollen wir uns angesichts all dieser Herausforderungen auf den Schulunterricht konzentrieren? Nein, das sollten wir nicht! Dass aber weniger als eine Handvoll deutscher Bundesländer das Fach Informatik zum Pflichtbestandteil ihres Lehrplans gemacht hat, das stimmt mich nachdenklich. Vielleicht gibt es Vorbehalte, weil manch einer noch im Kopf hat, wie öde Informatik in den Computerkabinetten sein konnte. Dröge Formeln mit Nullen und Einsen und keiner wusste, wofür. Informatik, das war das Fach der Nerds.

Dieser Blick, sofern er wirklich da war, hat sich radikal geändert. In einer Zeit, in der wir versuchen, die Welt in Algorithmen abzubilden, ist Programmieren zu einem Universalfach geworden.  Der Nimbus des Ingenieurs von früher hat sich auf den Software-Ingenieur übertragen, der jetzt mittels Digitalcodes Brücken baut, die wir nicht für möglich gehalten hätten.

Im Kindergarten dem Roboter den richtigen Weg diktieren

Manches Kind kann programmieren, bevor es lesen und schreiben kann. Das wurde in Kindergärten getestet, die Minis lernten, einen Roboter zu programmieren. Sie erfuhren, dass sich der Roboter anders bewegte, wenn sie den Code veränderten. Plötzlich war die Frage nach dem „wofür“, die meine Generation im Informatikunterricht noch gestellt hatte, wie selbstverständlich beantwortet. Der Roboter geht links herum, nicht rechts, genauso wie ich das möchte!

Wie gesagt, im Kindergarten. Deutsche Schulen, die das Fach anbieten, starten damit jedoch erst ab Klasse fünf oder noch später. Nur jedes dritte deutsche Schulkind zwischen 6 und 13 Jahren in Deutschland arbeitet im Unterricht überhaupt mit PC und Laptop. Bei vielen europäischen Nachbarn ist das anders. In Großbritannien, den Niederlanden, in Estland und Polen starten die Schulen mit Programmieren ab dem ersten Schultag.

Mancher wird mir jetzt widersprechen: Schulen in Deutschland böten sehr wohl Computerkunde an. Das mag stimmen, meist jedoch geht es dort um das Schulen von Medienkompetenz, um den Versuch, Schüler zu Anwendern des Digitalen zu machen. Keine Frage, das ist extrem wichtig. Noch wichtiger aber scheint mir, dass unsere Schüler zu Gestaltern des Digitalen werden. Hier ist die Fähigkeit zu Programmieren aus meiner Sicht unerlässlich. Als mein Sohn mir sein erstes selbstgeschriebenes Programm auf dem Computer zeigte, war ich sehr stolz auf ihn.

Programmieren von heute ist eine Mischung aus Kreativität und Logik

Programmieren von heute ist das Fach, das viele Fähigkeiten verbindet: Logik mit Kreativität, Disziplin mit Phantasie und Neugier mit Abstraktion und strategischem Denken.

Wer programmieren will, muss das Thema, das er in Computersprache übersetzen soll, durchdringen. Er muss sich in die Köpfe der späteren Anwender begeben. Denn er will herausfinden, was die Nutzer intuitiv umsetzen können und was nicht, wie sie denken und fühlen. Der Nerd von einst ist zum Menschenfreund geworden!

Es geht aber natürlich auch um Konzentration und Disziplin. Der Code, der Algorithmus, verzeiht keinen falschen Punkt und kein falsches Komma. Es geht um Logik – Programmieren ist das Setzen von Mustern, von aufeinander aufbauenden Schritten und wiederkehrenden Schleifen.

Mündig und selbstbestimmt in einer digitalisierten Welt leben

Als Chief Digital Officer eines großen Versicherers wünsche ich mir natürlich, dass alle Mitarbeiter der Zukunft programmieren können. So werden sie schneller in der Lage sein, aus unseren Herausforderungen kreative Lösungen zu bauen. Vor allem aber halte ich es für eine gesellschaftliche Aufgabe, Schüler in die Lage zu versetzen, eine zunehmend digitalisierte Welt zu gestalten.

Wir müssen sie in die Lage versetzen, auch beim Digitalen mündig und selbstbestimmt zu sein. Unsereins staunt vielleicht noch, dass er beim Lesen auf Spiegel Online plötzlich eine Werbung für ein Produkt sieht, nach dem er vor zwei Wochen bei Amazon gesucht hat. Unsere Kinder sollten das besser einordnen können. Mit dem Fach Computer Science geben wir ihnen dafür das Werkzeug in die Hand.

Es freut mich, dass das Thema Programmieren als Unterrichtsfach weit oben auf der politischen Agenda steht. Dies ist notwendig, wenn man digital Zukunft verantwortlich gestalten will.

Über Kommentare, Fragen oder Anregungen freue ich mich sehr.
Ihr Mark Klein

Autor: Mark Klein

Mark Klein ist seit September 2016 Chief Digital Officer der ERGO Digital Ventures AG, der Digitalsparte der ERGO Group AG. Er war zuvor Vorsitzender der Geschäftsführung der T-Mobile Netherlands B.V. Kleins Hauptaufgabe ist die digitale Transformation des traditionellen Geschäfts von ERGO im Inland und Ausland; außerdem soll er neue digitale Geschäftsmodelle etablieren. Hier finden Sie Mark Klein bei LinkedIn.

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