Simple because it matters.
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Digitalisierung & Technologie, 29. März 2022
Facebooks Metaversum wird „haushoch scheitern“. Das sagt Johannes Klingebiel vom Innovationsteam der Süddeutschen Zeitung in einem spannenden Kommentar hier auf //next. Allerdings formuliert Klingebiel das Scheitern als Spekulation – als Antithese zur Behauptung: Das Metaverse sei größer als Buchdruck und Internet zusammen! Beides könnte passieren: der Quantensprung oder ein zweites Second Life, sagt ERGO CDO Mark Klein. Virtuelle Parallelwelten wie Decentralland und Sandbox seien heute vor allem große Fantasien. An echter Substanz mangele es noch. Dennoch sei er von einer Zukunft der 3D-Welten überzeugt. Das liege an den Mehrwerten, die unvernetzte Metaverses heute schon bieten.
Vor gut einem Jahr sind wir bei ERGO Digital Ventures von zweidimensionalen Remote-Meetings zu dreidimensionalen gewechselt. Wir konferieren mittels der Software „Arthur“ und starten erst, wenn die Oculus-Quest-2-Brille aufgesetzt und jeder Avatar connectet ist. Für alle Bereichsleiter sind die 3D-Konferenzen seitdem Alltag. Fairerweise muss ich dazu sagen: Wir haben uns mehr oder weniger gezwungen, die virtuellen Meetings mindestens ein Jahr lang durchzuhalten – auch wenn es zwischendurch ruckelte und uns in der Performance abbremste.
Jedoch wollten wir über das „einfach mal austesten“-Stadium hinausgehen. Wir sind gestartet, als der Begriff Metaverse noch kein Thema war. Jetzt freuen wir uns umso mehr, dass wir mehr als 14 Monate Erfahrungen sammeln konnten. In diesem Artikel berichte ich in einer Art Glossar darüber – von „I“ wie Immersion bis „M“ wie Motion Sickness.
Doch zunächst zum Metaverse und seinem Potenzial: Die Kolleginnen und Kollegen unseres VR Competence Center in Berlin haben die Lizenz zum Surfen. Regelmäßig sind sie mit ihren Avataren in den 3D-Welten von Decentralland oder Sandbox unterwegs. Neulich nahmen sie mich mit – zu einem Verkaufsevent einer bekannten Elektronikmarke. Allerdings standen wir dann fast alleine vor den verschlossenen Türen des Megastores. Neben uns lediglich ein weiterer Avatar. Warum der Store geschlossen sei, fragten wir ihn. Weil die nächste Veranstaltung erst in zwei Tagen stattfinde, war seine Antwort.
Das ist unzweifelhaft eine neue Dimension! Beim Surfen andere Besucher zu treffen, mit ihnen zu sprechen und ihre originale, menschliche Stimme hören. Uns über ein virtuelles Erlebnis – oder in unserem Falle ein Nichterlebnis – austauschen. Das wirkte recht flüssig, ohne große Verzögerungen. Beim Event zwei Tage später legte ein DJ auf, der Saal war voller Avatare aus aller Welt. Ein Sportmodehersteller bot T-Shirts und Sporthosen für uns echte Menschen – und gleichzeitig für unsere Avatare – an.
Damit sind wir bei der entscheidenden Differenzierung vom Metaverse zu Second Life. Das 3D-Universum von 2003 war ein digitaler Spielplatz, den analoge Menschen ab und zu besuchten. Das Metaverse 20 Jahre später aber könnte ein fester Bestandteil unseres Alltags werden. Die Trennlinien zwischen digital und analog verschwimmen immer stärker. Wir werden immer öfter hybrid unterwegs sein und zwischen den Welten wandeln.
Dieses Ineinandergreifen ist heute längst spürbar. Wir bei ERGO richten uns seit Jahren auf den hybriden Kunden aus. An jedem Kontaktpunkt sollen die Erlebnisse identisch und miteinander vernetzt sein. Oder schauen Sie sich an, wie die Generation Z shoppt: Präsenzstores sind für diese Generation nach wie vor wichtig. Aber der Einkaufsprozess selbst ist im höchsten Maße hybride. Einmal die Schwelle zum Store übertreten, ist das Smartphone ein fester Bestandteil das analog-digitalen Shopping-Erlebnisses.
Dass das Hybride immer normaler wird, kann man auch daran beobachten, wie Kinder Games spielen. Das Gestalten der eigenen Avatare nimmt beinahe mehr Zeit in Anspruch als das Spiel selbst. Die digitalen Ich´s, die Kinder bauen, sind längst Unikate. Wie wird diese Generation in einem Metaverse unterwegs sein? Mit großer Freude, weil sie digitale Ichs zum Leben erwecken können. Wenn sich die Metaverses irgendwann vernetzen, reisen wir mit diesem Avatar quer durch das Internet.
VR ist heute immer noch ein Thema für Early Adapter. Auch wenn die Preise für Hardware fallen: Eine Oculus Quest 2 kostet immer noch zwischen 400 und 500 Euro. Die wenigsten haben ein solches Modell zu Hause. Aber die Nutzerzahlen steigen, und der Hype um das Metaverse wird den Trend beschleunigen.
Schon seit 2020 befasst sich unser VR Competence Center mit der industriellen Nutzung der Technologien. Mein Ziel ist es, dass unter den ersten 3D-Versicherungsagenturen auch eine von ERGO sein wird. Aber wer nur in virtuellen Räumen denkt, der unterschätzt meiner Auffassung nach den Mehrwert. Wenn wir uns mit Freunden zu virtuellen DJ-Sets verabreden, wenn wir mit Kryptowährung in Stores shoppen, wenn wir NFT´s handeln und Geschäfte machen, dann entstehen Werte, die mehr benötigen könnten als einen virtuellen Store.
In diesen Dimensionen müssen wir denken. Wer hier gute Ideen entwickelt, der könnte vorne mit dabei sein beim Acht-Billionen-Dollar-Markt, wie es die Morgen Stanley prognostiziert.
Schon heute sehen wir den Mehrwert von 3D-Anwendungen. Zusammen mit der ERGO Vertriebsakademie haben unsere VR-Experten ein Sales-Training kreiert. Vermittler lernen hier, wie man Kundengespräche führt. Man spricht mit verschiedenen Kundentypen. Dabei ist immer ein virtueller Coach anwesend, der Tipps gibt und den Vermittler berät.
Der Mehrwert besteht darin, dass wir zwei analoge Erlebniswelten in eine virtuelle gepackt haben. Vermittler lernen entweder beim Kunden direkt, im echten Gespräch – dann allerdings ist selten ein Trainer dabei. Oder sie sind in Trainings mit Kolleginnen und Kollegen. Das schwierigste – so berichten unsere Vertriebspartnerinnen und -partner – ist es, Kundengespräche authentisch zu simulieren.
In der Brille ist beides: Kundengespräche im realistischen Wohnzimmer-Set – und Trainings bzw. Feedback des virtuellen Coaches. Dies sorgt für deutlich verbesserte Lerneffekte.
Auch die 3D-Meetings, die wir heute schon anwenden können, stiften Mehrwert. Hier mein Erfahrungs-Glossar aus 14 Monaten mit „Arthur“.
„A“ wie Avatar
Die Anwendungen werden immer realistischer. Als wir gestartet sind, trug jeder Avatar dicke Sonnenbrillen im Gesicht. Die Software war nicht in der Lage, Augen so abzubilden, dass sie der echten Person nahekamen. Das Update kam im April 2021, seither konnten wir die Brillen absetzen, seither haben wir Augen.
Nur zwei Monate später das nächste Update. Beim Sprechen blieb der Mund lange Zeit geschlossen. Im Mai kam das Lippen-Update. Ab sofort bewegten sich Lippen synchron zu den Sätzen, die man in sein Mikro sprach. Das sind nur zwei Beispiele für deutliche Verbesserungen des immersiven Erlebnisses in kurzer Zeit!
„I“ wie Immersion
Via VR kann ich mich mit einem Freund, der weit weg auf einem anderen Kontinent wohnt, zum Spaziergang verabreden. Als Treffpunkt können wir die Londoner Tower Bridge vereinbaren – oder eine Wanderoute in den österreichischen Alpen. Immersion heißt, dass man in dieses Erlebnis eintaucht – mit allen Sinnen. Das funktioniert aber nur, wenn unser Gehirn das Erlebte als nachvollziehbar akzeptiert.
Hier ist schon heute sehr viel möglich. Würde ich beispielsweise mit Ihnen im VR-Raum sprechen, dann verändert sich meine Stimmlage, wenn ich mich von Ihnen wegdrehe oder wenn ich durch den Raum laufe. Oder stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Großraumbüro, es ist ein trüber Tag. Jetzt setzen Sie die Brille auf und spazieren am Strand auf den Bahamas entlang. Das grelle Sonnenlicht, Sie spüren förmlich die Wärme. Das echte Büro ist schnell vergessen.
„K“ wie Konzentration
Meetings via VR sind näher an Präsenzmeetings vor Ort als an Remote-Veranstaltungen via Zoom oder Teams. Habe ich in einer Teams-Konferenz eine passive Rolle, kann ich alles tun: Mails beantworten, auf dem Smartphone rumtippen. Ich kann so tun, als wäre ich da. Obwohl ich es nicht bin. Bei VR-Meetings sind Sie zu 100 Prozent bei der Sache. Sie haben keine Chance, irgendetwas nebenbei zu tun. Sie sind mit allen Sinnen im Meeting.
„M“ wie Mehrwert
Unser ERGO Konferenzraum ist riesig. Wir können unser Meeting immer wieder in andere Kulissen verlegen. Mit je einem Controller in beiden Händen kann man sich durch den Raum navigieren, sich durch das Menü klicken oder aber auch einen Controller schlichtweg als Armbanduhr nutzen. Möglich ist auch das so genannte Zoning: Will sich ein Teil der Anwesenden während des Meetings zurückziehen, können sie mitten im Raum eine Zone aufmachen. Sind sie da drin, werden sie von den anderen gesehen, jedoch nicht mehr gehört.
„M“ wie Motion Sickness
Unsere Konferenzen sind in der Regel 90 Minuten bis zwei Stunden lang. Setze ich im Anschluss die Brille ab, bin ich ziemlich gerädert. Zwei Stunden unter der VR-Brille sind definitiv anstrengender als zwei Stunden unter Realbedingungen.
Das fängt im VR-Raum – gerade, wenn noch die Erfahrung fehlt. Plötzlich klebt man an der Präsentations-Leinwand – einige Meter über den anderen. Da kann einem schon mal schlecht werden.
„T“ wie technische Stolperstellen
Wenn wir im Schnitt alle zwei Wochen mit den VR-Brillen in die Meetings gehen, funktioniert der Start in den seltensten Fällen reibungslos. Entweder muss eine der insgesamt acht Batterien gewechselt werden. Oder ein weiteres Update steht an. Auch ist das Erlebnis manchmal noch etwas pixelig. 3D benötigt enorme Serverkapazitäten und Render-Technologien.
Aber das wird sich schnell verbessern. Auch die Brille wird wesentlich kleiner und handlicher werden und vielleicht sogar das Smartphone ablösen. Wenn wir im täglichen Doing damit sind, fallen auch die Probleme mit Updates und Akku weg.
Übrigens machen wir mit den Brillen weiter. Ursprünglich wollten wir es nach einem Jahr wieder bewenden lassen. Aber dafür haben wir längst zu viel Spaß an 3D-Meetings.
Text: Mark Klein, CDO ERGO Group AG
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