Früher bekam man eine CD mit den Standardhits, in meinem Fall Bravo Hits oder Ronny’s Pop Show – die Älteren werden sich erinnern. Eine Auswahl für alle. Heute erstellt mir Spotify täglich auf mich zugeschnittene Playlists. Nun, die sind auch nicht immer toll, aber das ist ein anderes Thema und überhaupt – wer bin ich, den Algorithmus zu kritisieren *lach*.
Ziehen wir diesen Vergleich auf die Medizin, kann heute basierend auf Genen, Symptomen, Lebensstil – kuratiert von Ärztinnen und Ärzten und Algorithmen – eine individuelle Therapie erstellt werden. Hoffentlich mit mehr Treffern als bei Spotify.
Während früher das Prinzip Gießkanne galt – alle kriegen dasselbe und hoffen wir mal, dass es wirkt – setzt die moderne Medizin inzwischen auf Genanalyse und feinjustierte Präzision. Eine Art molekulare Maßanfertigung. Besonders in der Krebsmedizin hat sich das Prinzip schon durchgesetzt: Statt „Brustkrebs ist Brustkrebs“ wird nun das genetische Profil des Tumors analysiert. Beispielsweise hilft der Wirkstoff Trastuzumab nur, wenn ein bestimmtes Gen (HER2) überaktiv ist. Wenn nicht, kann man sich die Therapie sparen – samt Nebenwirkungen und Kosten.
Auch bei seltenen Erkrankungen kann der Blick ins Erbgut Licht ins diagnostische Dunkel bringen. Krankheiten, die früher jahrzehntelang ein Rätsel blieben, können heute oft einem genetischen Defekt zugeordnet werden. Selbst bei alltäglichen Medikamenten wie Blutverdünnern oder Antidepressiva wird deutlich: Nicht jeder und jede verträgt dasselbe – und unsere DNA weiß oft mehr über unsere Verträglichkeit als jeder Beipackzettel.
Ermöglicht wurde das alles durch eine stille Revolution: die Gensequenzierung. Was zur Jahrtausendwende noch rund 100 Millionen Dollar kostete – also ungefähr so viel wie ein gut ausgestatteter ICE-Waggon – ist heute für unter 1.000 Dollar zu haben. Damit wird die Genanalyse vom Forschungs-Luxus zur klinischen Routine.
Künstliche Intelligenz als Navigator durch den Datendschungel
Mehr Daten bedeuten vor allem eines: mehr Komplexität. Ein einzelnes Genom erzeugt mehrere Gigabyte an Informationen – und das ist nur der Anfang. Kombiniert man diese mit Blutwerten, MRT-Bildern, Patientenakten und den Schrittzahlen aus dem Fitnessarmband, ergibt sich ein gewaltiges Puzzle. Da muss sich die medizinische Beratung schon auf viele Jahre Erfahrung stützen, um richtig zu deuten… oder eben KI einsetzen.
Algorithmen erkennen Muster, bewerten Risiken und können Therapieoptionen vorschlagen. In der Radiologie entdeckt KI mikroskopisch kleine Veränderungen, die dem menschlichen Auge entgehen würden. In der Pathologie hilft sie bei der Diagnose seltener Tumoren. Und manchmal weiß sie sogar, welches Medikament besser wirkt – bevor der Mensch es ahnt. Hier stehen wir noch am Anfang, und es gibt hier auch den klassischen Spagat zwischen Early und Late Adoptern.
Doch je genauer die Medizin wird, desto größer werden auch die Fragen. Wer darf eigentlich wissen, was meine Gene über mich verraten? Möchte ich wirklich erfahren, dass ich ein erhöhtes Risiko für Alzheimer habe, wenn es dafür (noch) keine Therapie gibt? Und was passiert, wenn diese Informationen nicht nur mein Arzt, sondern auch der Großkonzern aus dem Silicon Valley kennt?
Doch das ist nicht die einzige „Baustelle“. Studien für hochspezialisierte Medikamente haben oft nur kleine Fallzahlen – klassische Zulassungsverfahren stoßen an ihre Grenzen. Und Tests, die darüber entscheiden, ob ein Medikament überhaupt wirkt, müssen höchste Qualitätsstandards erfüllen – sonst behandelt man plötzlich eine Genvariante, die gar nicht da ist.
Dann ist da noch die Frage nach dem Geld. Viele dieser Therapien sind teuer – teils im sechsstelligen Bereich pro Jahr. Kritiker fragen: Wie soll das ein solidarisch finanziertes System stemmen? Befürworter hingegen argumentieren: Je früher und zielgenauer wir behandeln, desto mehr teure Fehlversuche lassen sich vermeiden. Und wer sagt denn, dass der Status quo, zum Beispiel mit Therapien, die nicht immer wirken, günstiger ist?
Eine lange Reise – mit unbekanntem Ziel
Ein Blick in die nahe Zukunft zeigt: Präventive Gentests könnten so normal werden wie der Check-up beim Hausarzt. Wearables könnten in Echtzeit Körperdaten senden, KI auswerten und Empfehlungen geben – vielleicht sogar Therapieanpassungen vorschlagen, noch bevor Symptome auftreten. Erste Ansätze gibt es bereits bei Diabetes, wo Sensoren und Pumpen Hand in Hand arbeiten, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren.
Ein sehr spannender Ansatz sind digitale Zwillinge. Quasi ein exakt virtuelles Abbild eines Menschen, das simuliert, wie eine Therapie wirkt, ohne dass wir sie durchlaufen müssen. Ich hoffe nur, dass wir dann nicht vorher schon wissen, welche schlechten Nachrichten wir in der Zukunft bekommen könnten.
Fazit
Fest steht, dass wir bei personalisierter Medizin eher im Bereich Realität als Science-Fiction unterwegs sind. Es ist eigentlich wie in allen Bereichen des Lebens in den 2020ern: Technische Voraussetzungen werden mit rasanter Geschwindigkeit besser, wir müssen es nur schaffen, die Entwicklungen gesellschaftlich zu meistern.
Zum Weiterlesen
https://www.vfa.de/de/forschung-entwicklung/personalisierte-medizin
https://www.fda.gov/medical-devices/in-vitro-diagnostics/precision-medicine
https://www.computerwoche.de/article/2782234/mit-ki-und-big-data-wird-die-medizin-smart-und-personalisiert.html