Einfach, weil's wichtig ist.
Einfach, weil's wichtig ist.
Digitalisierung & Technologie, 11. September 2024
Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) bewerten Versicherer bereits heute Risiken, verbessern Prozesse und optimieren Kundenerlebnisse. Das führt zu erheblichen Effizienzsteigerungen und verbessertem Service. Mit generativer KI (GenAI) hat ein weiterer Player die Bühne betreten. Zusammen mit klassischer KI wird sie die Versicherungsbranche auf ein neues Level heben. Ein Blick in den Maschinenraum von ERGO CDO Mark Klein.
Steter Wandel – so lautete eines der Ideale von Steve Jobs, dem Mitgründer und langjährigen CEO von Apple. Jobs war bekannt für sein teils exzessives Streben nach Perfektion, Einfachheit und Innovation. Er war überzeugt, dass großartige Produkte entstehen, wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert und die Nutzererfahrung in den Mittelpunkt stellt. Ein wesentlicher Teil seines Erfolgs lag darin, den Status quo immer wieder zu hinterfragen. Sein Ansatz hat bahnbrechende Innovationen auf den Weg gebracht – und mehr mit der Versicherungsbranche zu tun, als man vielleicht vermuten würde.
So müssen auch Versicherer immer wieder selbst ihre Prozesse, Produkte und Prioritäten auf den Prüfstand stellen. Wo gibt es noch Optimierungspotenziale? Wie verändern sich die Bedürfnisse der Kunden? Wie entwickelt sich die Welt um uns herum? Nur indem Versicherer agil bleiben und sich kontinuierlich „challengen“, Neues ausprobieren und sich innovative Technologien erschließen, können sie besser werden und bestehen. Wandel bedeutet für Versicherer damit Resilienz. Und Resilienz ist der Schlüssel zu langfristigem wirtschaftlichem Erfolg.
Auch Jobs Maxime der Einfachheit lässt sich auf die Versicherungsbranche anwenden. Viele Menschen empfinden Versicherungen heutzutage noch als zu kompliziert oder intransparent. Sie sind keine Wunschprodukte, denen man entgegenfiebert und kommen in der Regel erst dann zum Einsatz, wenn es bereits zu spät ist; doch dann sollte es von der Schadenmeldung bis zur Abwicklung reibungslos verlaufen. Einfachheit sollte damit zum Dreh- und Angelpunkt der Bemühungen von Versicherern werden – entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Um sowohl das Ideal des steten Wandels als auch die Maxime der Einfachheit zu verwirklichen, kann bei Versicherern vor allem eine Technologie unterstützen: künstliche Intelligenz.
Mit KI-Systemen lassen sich etwa Stresstests und Szenarioanalysen erstellen, um die Robustheit des eigenen Versicherungsportfolios zu bewerten. Außerdem helfen KI-basierte Analysen dabei, die Wahrscheinlichkeit von Schäden oder Verlusten präziser vorherzusagen. Das ist für das Underwriting essenziell – und damit auch für die Wirtschaftlichkeit eines Versicherers. Neben dem Berechnen und Simulieren von Risiken wird KI ebenfalls dazu eingesetzt, Geschäftsprozesse und Services zu verbessern.
Bei ERGO kommt KI seit 2017 in verschiedenen Bereichen zur Anwendung. Aktuell geschieht dies vor allem in den eigenen Verwaltungsprozessen und umfasst etwa das Eingangsmanagement sowie die Vertrags-, Schadens- und Leistungsabwicklung. Derzeit sind gruppenweit rund 100 KI-Anwendungen implementiert. So konnte ERGO mittels KI etwa in der Krankenversicherung eine Automatisierungsrate von über 90 Prozent in der Klassifikation von eingereichten Dokumenten erzielen. Im Gegensatz zur bisherigen Quote von rund 50 Prozent mit einem regelbasierten Ansatz entspricht dies einer signifikanten Steigerung, die sich auch in einer beschleunigten Leistungsabwicklung für die Kundinnen und Kunden widerspiegelt. Darüber hinaus hilft KI heute schon umfassend in der Kundentelefonie. So werden bei ERGO rund 10.000 Anrufe pro Tag von digitalen Sprachassistenten entgegengenommen. Die Phone Bots leiten die Anrufe je nach Anliegen an den richtigen Fachbereich weiter, erteilen selbstständig Auskunft über Leistungsstände in der Versicherung oder nehmen Hagelschäden der Kundinnen und Kunden entgegen.
Durch KI wird ERGO noch effizienter. Dies verbessert den Kundenservice und hilft, bei der Kostenquote wettbewerbsfähig zu bleiben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden durch die Technologie von repetitiven Aufgaben befreit und starke Belastungsspitzen wie zur Corona-Pandemie, den jährlichen Grippewellen oder den zunehmenden Klimawandel-bedingten Großschäden werden abgefedert. Dies ist gerade mit Blick auf den demografischen Wandel und den damit einhergehenden Fachkräftemangel relevant, der uns gesamtgesellschaftlich betrifft.
Neben den schon heute eingesetzten KI-Anwendungen beschäftigt sich ERGO seit vergangenem Jahr auch intensiv mit der nächsten Stufe von KI, sogenannter generativer KI. Ihre bahnbrechende Kraft liegt vor allem in der Art und Weise, wie die Nutzerinnen und Nutzer auf Daten zugreifen und diese verwenden können. Während die Entwicklung des maschinellen Lernens Jahrzehnte gedauert hat und stets ein Thema für Spezialistinnen und Spezialisten war, demokratisiert GenAI diese hochkomplexe Technologie. Sie macht riesige externe Datenmengen per einfacher Texteingabe zugänglich.
Dass GenAI in der Lage ist, menschliche Sprache zu verstehen und zu generieren, wird die Entwicklung der Versicherungsbranche um mehrere Jahrzehnte beschleunigen. Richtig genutzt, werden GenAI-gestützte Tools zu einer weiteren Optimierung von Geschäftsprozessen, verbesserten Kundenerlebnissen, einer höheren Produktivität sowie neuen Dienstleistungen führen. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2023 kam zu dem Ergebnis, dass Beraterinnern und Berater mithilfe von generativer KI zwölf Prozent mehr Aufgaben in 25 Prozent weniger Zeit mit einer um 40 Prozent verbesserten Qualität erledigen konnten als ihre Vergleichsgruppe. Befragt wurden 750 Berater des Unternehmens weltweit.
Auch Versicherern bieten sich immense Potenziale durch die Nutzung von GenAI. Da es hier täglich Hunderttausende Kontaktpunkte mit Kundinnen und Kunden gibt, bei denen Sprache verarbeitet werden muss, sind Versicherungsunternehmen prädestiniert für den Einsatz von Sprachmodellen und darauf basierenden Tools. GenAI könnte ergänzend zu traditionellen KI- und regelbasierten Systemen in der Datenklassifikation und -extraktion aus Dokumenten eingesetzt werden. Denkbar ist auch eine weitere Automatisierung und Beschleunigung der Schadensregulierung durch die Analyse von Bildern, Videos und anderen Daten. Die Tools könnten in Form von Chatbots und virtuellen Assistenten natürlichere Gespräche führen und auch komplexere Anfragen bearbeiten. Außerdem könnten die Modelle dabei helfen, Muster zu erkennen und somit in der Betrugsbekämpfung zum Einsatz kommen, um eine faire Schadensregulierung zu gewährleisten.
Wichtig ist: Der Einsatz von KI und GenAI muss sorgfältig überlegt, umgesetzt und gesteuert werden. Wie bei klassischen KI-Anwendungen müssen auch vor dem produktiven Einsatz von GenAI alle relevanten Stakeholder wie Recht, Compliance, IT, Risikomanagement und die Mitbestimmungsgremien involviert werden. Menschen müssen weiterhin das letzte Wort haben, da GenAI-Anwendungen nicht nur riesige Potenziale in den Ende-zu-Ende-Prozessen bieten, sondern auch Herausforderungen mit sich bringen. Es geht um Themen wie Datenschutz, Urheberrecht, Halluzinationen und Diskriminierung. Es braucht eine klare Datenstrategie, geeignete Löschkonzepte und ethische Leitplanken, wie KI im eigenen Unternehmen implementiert werden soll.
ERGO hat bereits erste GenAI-Anwendungen umgesetzt. So steht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit April eine interne „ERGO GPT“-Anwendung zur Verfügung. Ebenso wird gerade an Chat Bots als sogenannten „Knowledge Assistants“, das heißt Schnittstellen zu bestehenden internen Wissensdatenbanken, und Piloten für GPT-basierte Chat Bots in der Kundenkommunikation gearbeitet. Beim Erarbeiten der Anwendungsfälle verfolgt ERGO einen modellagnostischen Ansatz. Das heißt, es werden sowohl die großen kommerziellen Large Language Models genutzt, um darauf basierend eigene Anwendungen entsprechend der geltenden rechtlichen und regulatorischen Anforderungen zu erstellen. Ebenso kommen Open-Source-Modelle zum Einsatz.
Neben den heute existierenden KI-Anwendungen wird GenAI innerhalb kürzester Zeit spürbare Mehrwerte und weitere Effizienzgewinne bringen. Sie wird in den kommenden Jahren große Wettbewerbsvorteile bieten. Zahlreiche Banken und Versicherer nutzen deshalb schon diese Technologie – auch, weil sie aktiv von der Belegschaft eingefordert wird. Richtig eingesetzt und in Kombination mit regelbasierten Ansätzen sowie klassischer KI werden die Themen Innovation, Wachstum, Prozessoptimierung und das Abfedern des Fachkräftemangels nochmal einen regelrechten Boost bekommen. Dabei immer im Blick: der stete Wandel und Versichern einfacher zu machen.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst beim Versicherungsmonitor erschienen.
Text: Mark Klein, CDO ERGO Group AG
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