Digitalisierung & Technologie, 05. Juni 2024

KI made in Germany

Köln und Heidelberg statt Silicon Valley

KI made in Germany

Dank Open AI und dessen ChatGPT erleben KI-Anwendungen seit Monaten einen ungebremsten Hype. Vieles konzentriert sich dabei auf die generative KI und die großen Tech-Unternehmen vor allem aus den USA. Fast unbemerkt hat sich aber auch „KI made in Germany“ zu einem Gütesiegel entwickelt – und in vielen wichtigen Bereichen so Einiges zu bieten.

Die Vorzeigeunternehmen der KI in Deutschland kommen nicht aus den Gründerzentren in Berlin oder München, sondern aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Sie bedienen auch nicht den wachsenden Bedarf an Inhalten, die statt von Menschen von künstlicher Intelligenz erzeugt werden, sondern wollen ganz konkrete Probleme lösen.

DeepL

ChatGPT, Midjourney und Google Gemini würden bei einer spontanen Umfrage nach bekannten KI-Anwendungen ganz sicher zu den meistgenannten KI-Tools gehören, aber DeepL? Eher nicht. Dabei nutzen bereits Millionen Menschen weltweit die KI-Übersetzung aus Köln – privat oder beruflich, Tendenz steigend. Die Entwicklung von DeepL kann durchaus als erstaunlich bezeichnet werden und war auch uns auf //next bereits einen Beitrag wert.

Der 2017 aus dem Online-Wörterbuch Linguee hervorgegangene Übersetzungsdienst hat nicht etwa einen neuen Markt besetzt, sondern ist gegen das Schwergewicht Google und seinen Übersetzungsdienst angetreten. Trotz dieser namhaften Konkurrenz hat sich DeepL schnell einen Namen für qualitativ hochwertige Übersetzungen gemacht und in Fachkreisen etabliert.

Seit Januar 2023 ergänzt mit DeepL Write zudem ein KI-Schreibassistent das Angebot des Kölner KI-Unternehmens. Die Besonderheit: Im Gegensatz zu ChatGPT schreibt DeepL Write nicht selbst, sondern optimiert bereits geschriebene Texte.

Aleph Alpha

Auf den Namen „Lumi“ hört der „digitale Bürgerassistent“ der Stadt Heidelberg. Er gibt den Besuchern des Stadtportals Auskunft über Service-Leistungen der Stadt, informiert über geplante Maßnahmen zur CO2-Reduzierung und hilft Interessierten bei der Planung eines Heidelberg-Besuchs.

Lumi ist der erste Meilenstein des Heidelberger Start-ups Aleph Alpha, das ein neuartiges KI-System entwickelt. Anders als beispielsweise GPT-4, das OpenAI für ChatGPT verwendet, soll das KI-Modell auf europäischen Datenschutzbestimmungen basieren. Dazu entwickelt Aleph Alpha ein eigenes LLM namens „Luminous“, dessen Antworten nachvollziehbar und transparent sein sollen. Ebenfalls ungewöhnlich für die milliardenschwere KI-Branche: Der Code von Luminous ist öffentlich zugänglich und Aleph Alpha richtet sich nicht an den Massenmarkt der Endverbraucher, sondern an Unternehmen und Verwaltungen.

Es gibt bereits ganz konkrete Beispiele für KI-Anwendungen. Und zwar auch in Bereichen, die man nicht unbedingt mit Digitalisierung in Verbindung bringen würde. Brötchenbacken zum Beispiel.

Falk Hedemann, Blogger & Journalist

KI als konkrete Lösung für den Alltag

Viele Diskussionen rund um KI drehen sich um die schier unendlichen Möglichkeiten, die Algorithmen, Machine Learning und Deep Learning bieten. Vieles bleibt jedoch in der Theorie und in Zukunftsperspektiven stecken. Dabei gibt es bereits ganz konkrete Beispiele für KI-Anwendungen. Und zwar auch in Bereichen, die man nicht unbedingt mit Digitalisierung in Verbindung bringen würde. Brötchenbacken zum Beispiel.

Das Bäckerhandwerk hat nicht nur mit hohen Energiepreisen zu kämpfen – auch der Fachkräftemangel macht der Branche seit Jahren zu schaffen. Für Bäckereien mit mehreren Filialen und Verkaufsstellen kommt die Berechnung der optimalen Produktmengen als weitere Schwierigkeit hinzu: Wird zu wenig produziert, wandern die Kunden unweigerlich zur Konkurrenz ab, wird zu viel produziert, verursacht die Überproduktion unnötige Kosten.

Genau hier setzt das Start-up BäckerKI an. Es nimmt den Bäckereien die oft zeitaufwändige Berechnung der optimalen Produktmengen ab und optimiert die Produktionsplanung. Die Bäckereien sparen Zeit und optimieren gleichzeitig ihre Einnahmen und Ausgaben, indem sie weder zu wenig noch zu viel Backwaren produzieren. Ganz nebenbei steigt damit auch die Nachhaltigkeit, für die insbesondere die Überproduktion von Lebensmitteln problematisch ist.

Die BäckerKI ist nicht nur ein gelungenes Beispiel für die praktische Anwendung von Künstlicher Intelligenz, der Entwicklungsprozess könnte sogar als Blaupause für KI-Anwendungen mit unmittelbarem Praxisnutzen dienen. Das KI-System wurde in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Bäckereien entwickelt und passt daher perfekt zu deren Anforderungen.

Statt also eine KI-Lösung zu entwickeln und dann nach passenden Problemen zu suchen, sind die Gründer von BäckerKI den umgekehrten Weg gegangen.

Was ist eigentlich aus den Robotern geworden?

Die Star-Wars-Roboter C-3PO und R2-D2, WALL-E oder Ava aus Ex Machina – sie alle verkörpern eine futuristische Vision in mehr oder weniger humanoider Gestalt. Auch in der realen Welt jenseits der Hollywood-Studios wird seit Jahren intensiv an Robotern geforscht. Doch die kommunikative Interaktion mit Menschen, wie sie uns in Science-Fiction-Filmen vorgeführt wird, stellte bisher eine zu große Hürde dar. Mit NEURA Robotics könnte sie nun überwunden werden. Das Start-up aus dem baden-württembergischen Metzingen hat kognitive Roboter entwickelt, die dank KI verschiedene Aufgaben nicht nur ausführen, sondern auch verstehen und daraus lernen. Neuro selbst bezeichnet diesen Entwicklungssprung als „neue Ära der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine“.

Wie wirkt sich der heutige Wetterbericht in den ERGO Kantinen auf die Anzahl der bestellten Currywürste am Standort Berlin aus? Essen die Münchener Kolleginnen und Kollegen vor dem Feiertag mehr Salat? Wie stehen die Kölner am ersten Tag der Schulferien zu Bibimbap? Auf diese und weitere Fragen liefert bei ERGO die künstliche Intelligenz (KI) des Start-ups Delicious Data in Echtzeit verlässliche Antworten – und in den Küchen werden daraufhin sofort die produzierten Mengen angepasst. „Aufgrund des Einsatzes von Delicious Data können wir unsere operativen Produktionsprozesse effektiver gestalten und somit Lebensmittelsbfälle vermeiden“, sagt Barret Jähn von der Gastronomietochter des Versicherers, ERGO Gourmet. Mit dieser Idee, Speiseabfälle zu vermeiden, gewann das Team bereits 2020 einen internen Wettbewerb.

KI-Sprachmodelle leben von der Sprache

Ist ein deutsches oder europäisches Sprachmodell als Alternative zu ChatGPT, Google PaLM oder Meta Llama überhaupt sinnvoll? Schließlich funktionieren die bekannten KI-Modelle bereits sehr gut, auch in den hiesigen Landessprachen. Die Antwort lautet dennoch: Ja, ein KI-Sprachmodell aus Europa hätte gleich mehrere gravierende Vorteile. Zum einen würde es nicht nur auf Englisch basieren, sondern beispielsweise auch auf Deutsch, Französisch und Spanisch. Schließlich ist eine Sprache immer auch Ausdruck der jeweiligen Kultur mit all ihren Eigenheiten, Werten und Normen.

Zum anderen wäre ein europäisches LLM auch ein technologisches Statement: „Seht her, wir haben das Wissen und den Willen für ein eigenes KI-Modell!“ Wenn das dann noch das Gütesiegel „KI made in Germany“ trägt, umso besser. Sich von den US-Technologiekonzernen unabhängiger zu machen, ist sicher keine schlechte Idee. Dies gilt umso mehr, als es fraglich ist, wie gut sich die KI-Modelle der USA mit dem „AI Act“ der EU vereinbaren lassen.

Text: Falk Hedemann


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