Wo wir vom gemeinsamen Handeln sprechen: Ist Handeln an sich etwas, was Unsicherheit entgegenwirkt? Fühlt man sich weniger unsicher, wenn man etwas tut?
Ja. Wir sind handelnde Wesen, die sich die Welt handelnd aneignen von klein auf. Und dadurch schaffen wir uns unsere Referenzrahmen, durch die wir schauen wie durch Brillen, um zu verstehen, wie die Welt gestrickt ist und wie wir handeln müssen, um hier zurechtzukommen. Wenn ich etwas tue, mache ich die Erfahrung, dass ich einen Effekt habe. Dann kann ich prüfen, ob das der Effekt ist, den ich angestrebt habe, und nachjustieren. So kann ich Unsicherheit abbauen. Das ist ein Weg, um aus der Ohnmacht in ein handelndes Suchen, Probieren, Experimentieren zu gelangen, und das ist auf jeden Fall eine Strategie, die uns hilft.
Welche Rolle spielt der Austausch mit anderen Menschen? Im Zusammenhang mit Terrorismus zum Beispiel hören wir oft, dass Menschen sich gerade in der Einsamkeit des Internets radikalisieren. Setzt Einsamkeit vielleicht eine Spirale aus Unsicherheit und Angst in Gang und wäre Gemeinschaft sozusagen eine Art universales Heilmittel?
Ja. Der Einsamkeitsbericht der Bundesregierung und Studien, etwa vom Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt, legen nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und antidemokratischen Einstellungen gibt.
Wenn sie Menschen fragen, was ihnen Orientierung und Halt gibt, dann ist das häufig das Leben in Gemeinschaft. Das muss nicht eine klassische Familie sein; es kann auch eine Wohngemeinschaft sein oder andere Formen von Beziehungen. Wir leben in Beziehungen, die uns orientieren und in unserem alltäglichen Leben Halt geben.
Diese Art von Lebensqualität können Sie mit keiner Versicherung kompensieren. Wir können sie auch nicht kaufen, aber wir können sie gemeinsam gestalten. All das stärkt uns in dem Gefühl, Ressourcen zu haben im Umgang mit Unsicherheit. Um so eine Kultur können wir uns bemühen. Sie löst die Unsicherheit nicht auf – die ist letztlich nicht auflösbar – aber wir entscheiden immer wieder selbst, wie wir miteinander umgehen. Wie wir uns unterstützen, wie offen wir aufeinander schauen und wie respektvoll – das liegt ganz sicher in unserem Handlungsspielraum.
Jetzt haben wir viele Ansätze angeschnitten, wie man Sicherheitsgefühl vielleicht oder wahrscheinlich stärken kann. Welche dieser Ansätze sind denn besonders wichtig? Sind es die materiellen Aspekte, für die zum Beispiel die Versicherungen stehen, sind es emotionale Aspekte auf einer ganz individuellen Ebene, sind es die sozialen Aspekte, die Eingebundenheit … lässt sich das irgendwie gewichten? Womit fangen wir denn an, wenn wir ratlos und unsicher sind als Gesellschaft?
Zu den materiellen Aspekten: Unser Streben nach Wohlstand ist auch eine Möglichkeit, Unsicherheit zu absorbieren. Wenn wir uns aber umschauen, können wir paradoxerweise feststellen: In den Wohlstandsgesellschaften ist das Unsicherheitsgefühl nicht gesunken. Vielmehr fürchten wir, materielle Ressourcen wieder verlieren zu können.
Natürlich ist Wohlstand eine Ressource: Wenn wir diese heißen Tage erleben, und eine Person ist privilegiert, lebt in einem gedämmten Haus, hat die Möglichkeit kühl zu duschen, dann ist das natürlich eine Ressource, die zu Resilienz beitragen kann. Insofern will ich die Bedeutung dieser materiellen Ressourcen überhaupt nicht in Abrede stellen. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, wie wichtig eine sozial gerechtere Verteilung materieller Ressourcen ist; wichtig für die politische Agenda und gleichzeitig für unser tägliches Erleben.
Die soziale und emotionale Eingebundenheit scheint mir besonders entscheidend zu sein als Bewältigungsstrategie im Umgang mit Unsicherheit. Die Chance teilzuhaben – in Familie, Verein, Schule, Arbeitsplatz, Nachbarschaft usw. Es geht um Beteiligungsmöglichkeiten an Orten, wo wir den Umgang mit Unsicherheit gemeinschaftlich bewältigen können; wo wir überlegen können: Was ist uns jetzt hier wichtig? Wenn wir dann zu Entscheidungen kommen und materielle Ressourcen klug miteinbeziehen, dann greifen Materielles und Soziales im besten Fall ineinander.
Vielen Dank für dieses Gespräch!
Interview: Thorsten Kleinschmidt