Die Vorteile kognitiver Entlastung: Steigerung von Produktivität und Effizienz
Einige der Gründe für die Attraktivität und für den Nutzen von Werkzeugen zur kognitiven Entlastung liegen auf der Hand. Wenn Menschen sich nicht mehr mühsam mit Aufgaben abplagen müssen, die sie als belastend empfinden, können sie mehr Energie auf Dinge verwenden, die ihnen wirklich wichtig sind. Wenn KI z. B. die optische Gestaltung einer Präsentation übernimmt, kann der Mensch sich auf die Sachinhalte konzentrieren.
Auch verweist die Tatsache, dass Menschen Aufgaben als mühsam empfinden, nicht selten darauf, dass der menschliche Geist für diese Aufgaben nicht optimiert ist, weshalb das technische Hilfsmittel hier bessere Ergebnisse erzielt. Die wenigsten Menschen können dreistellige Zahlen sicher im Kopf multiplizieren – der Taschenrechner ist verlässlicher und zugleich schneller. Auch Experimente legen den Schluss nahe, dass durch den Einsatz digitaler Tools kognitive Ressourcen frei werden können, die eine Steigerung von Produktivität und Effizienz ermöglichen. Verschiedene Studien haben diese Zusammenhänge im Detail untersucht (z. B. Gerlich: AI Tools in Society; Grinschgl/Papenmeier/Meyerhoff: Consequences of cognitive offloading).
In vielen Wirtschaftsbranchen macht man sich diesen Effekt zunutze. Moderne KI-Systeme können zum Beispiel große Datenmengen analysieren, Muster erkennen, Gefährdungs- oder Betrugswahrscheinlichkeiten ermitteln und so sowohl die Schadensbearbeitung als auch die Erstellung personalisierter Tarifangebote deutlich beschleunigen. Menschen werden von Tätigkeiten entlastet, für deren Erledigung sie deutlich länger gebraucht hätten, und können sich Aufgaben widmen, bei denen der Mensch nicht zu ersetzen ist, etwa der kompetenten Kommunikation mit Kunden und Partnern. Einen Überblick gibt Stan Bowers von Spear Technologies.
Aber nicht nur im Arbeitsleben kann kognitive Entlastung das Leben verbessern. Viele Menschen, vor allem ältere, müssen mit kognitiven Einschränkungen zurechtkommen. Wenn Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit nachlassen, können digitale Werkzeuge helfen, Defizite zu kompensieren. Studien legen sogar nahe, dass die regelmäßige, kompetente Nutzung von Computern oder Smartphones den Geist auf eine Weise trainiert, dass kognitive Leistungsfähigkeit gar nicht erst verlorengeht. Die Nutzung digitaler Technologien scheint einen ähnlichen vorbeugenden Effekt zu haben wie körperliche Betätigung (Benge/Scullin: A meta-analysis of technology use and cognitive aging).
Kognitive Entlastung bringt auch Probleme mit sich
Der Einsatz von Werkzeugen zur geistigen Entlastung hat allerdings auch Nachteile. Das Grunddilemma: Das Gehirn wird dadurch leistungsfähig, dass man es benutzt. Wer sein Gehirn schont, riskiert den Verlust von Fähigkeiten.
- Untersuchungen zum sogenannten „Google-Effekt“ zeigen, dass die Auslagerung kognitiver Aufgaben dazu führen kann, dass Menschen sich eher daran erinnern, wo Informationen zu finden sind, als den Inhalt selbst im Gedächtnis zu behalten.
- Dadurch wird auch die geistige Durchdringung und das Verstehen der Inhalte beeinträchtigt. Denn wenn wir uns etwas einprägen möchten, versuchen wir in der Regel zuvor, es zu verstehen. Dieser Impuls entfällt, wenn wir uns nur merken, dass die Information bei Bedarf unter einem bestimmten Link zu finden ist.
- Die starke Abhängigkeit von KI-Werkzeugen kann eigene analytische und kreative Fähigkeiten schwächen.
- Suchmaschinen- und Social-Media-Algorithmen schaffen Echokammern von Gleichdenkenden. Die Fähigkeit, die eigenen Meinungen angesichts von Gegenargumenten kritisch zu hinterfragen, wird schwächer.
- Die Theorie der „digitalen Demenz“ (Manfred Spitzer) behauptet, dass starker Smartphone- und Internetkonsum Symptome hervorrufen könne, die einer Demenz ähneln; besonders bei Jugendlichen. Diese Befunde sind allerdings sehr umstritten.
Gut belegt scheint aber insgesamt die Vermutung, dass kognitives Offloading zu einer Abhängigkeit von externen Werkzeugen und zu geringerer produktiver Eigenständigkeit führen kann. Die schon erwähnte Studie von Michael Gerlich zu den Auswirkungen von KI warnt, dass der Einsatz großer Sprachmodelle zwar die Produktivität steigern, aber Lernfähigkeit, kritisches Denken und Urteilsvermögen verringern kann.
Für Unternehmen besteht hier die Gefahr eines Verlustes von Mitarbeiterfachwissen: Wenn junge Fachkräfte sich von Beginn an auf KI-Tools verlassen, können sie möglicherweise nicht die eigene analytische und kreative Kompetenz entwickeln, um Aufgaben ohne technische Unterstützung zu bewältigen. Vielleicht sind sie nicht einmal in der Lage, die Qualität der KI-Leistung einzuschätzen. Dann setzt irgendwann nur noch die KI fachliche Maßstäbe und Menschen verlieren die Fähigkeit, das Unternehmen zu steuern.
Was tun? Vom kompetenten Umgang mit digitalen Werkzeugen
Wie kann man die Vorteile kognitiver Entlastung nutzen, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen? Wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Wunsch nach Effizienz und dem Ziel der Entwicklung menschlicher Fähigkeiten. Denn die Leistungsmöglichkeiten des Gehirns sind erstaunlich – und werden selten ausgeschöpft.
- Bildung und Ausbildung sollten gezielt kritisches Denken und Problemlösung trainieren. Immer wichtiger wird dabei das Vermögen, die Fähigkeiten und Grenzen von KI kritisch einzuschätzen.
- Arbeitsprozesse sollten so gestaltet werden, dass Raum für fachliche Einschätzungen durch den Menschen bleibt. Vor allem Risikobewertungen, die Beurteilung von Langzeitfolgen und ethische Fragen sollten menschliche Domäne bleiben.
- Im Alltag tun wir gut daran, nicht alle Möglichkeiten zu nutzen, die die Technik uns anbietet. Eigenes, ständig aktualisiertes Allgemein- und Fachwissen, eigene analytische und kreative Fähigkeiten sowie ein gutes Gedächtnis bleiben zentrale Lebenskompetenzen. Ohne sie wird es auch weiterhin keinen überdurchschnittlichen beruflichen Erfolg geben.
Weitere Anregungen gibt Raquel Loga von der IE University in Madrid.
Der kompetente Umgang mit Entlastungstools erfordert zuweilen digitale Enthaltsamkeit. Vielleicht wird die hierzu nötige Selbstdisziplin künftig selbst zu einem zentralen Ziel bei Qualifikation und Persönlichkeitsbildung. Der Weg zu diesem Ziel beginnt in Schule und Familie. Aber auch die berufliche Ausbildung muss Wissen um die Grenzen des sinnvollen Einsatzes digitaler Werkzeuge vermitteln. Denn Entlastung ist kein Selbstzweck: Glück und Erfolg, Kreativität und Produktivität sind ohne geistige Anstrengung nicht zu haben.