War es diese Neugier, die dich in auch die Welt der KI geführt hat?
Ich glaube, es lag daran, dass ich in den 1980er Jahren Zugang zu Computern hatte, als Computerspiele auf dem ersten Höhepunkt ihrer Entwicklung waren. Ich bin in einer sehr abgelegenen Gegend in der Nähe von Antwerpen in Belgien aufgewachsen. Ich hatte nicht viele Nachbarn, mit denen ich hätte spielen können. Und plötzlich hatte ich da einen Freund, mit dem ich mich messen konnte: ein Computerspiel. Und das fühlte sich an, als hätte ich einen Freund, nur eben einen künstlichen.
Während mein Onkel an Expertensystemen für belgische Banken arbeitete, schrieb ich in der Highschool eine Hausarbeit darüber, wie KI afrikanischen Ärzten helfen kann, bessere Diagnosen zu stellen. Das war 1989. Die Ironie ist, dass ich eine schlechte Note bekam, weil niemand zu verstehen schien, was KI eigentlich ist.
Später arbeitete ich bei SAP und IBM, wo ich Menschen kennenlernte, die maschinelles Lernen zur Analyse von Gesundheitsdaten einsetzten. Plötzlich hatten wir Zugang zu Rechenleistung, Techniken und Daten, die es uns ermöglichten, genau das zu tun, wovon ich in meiner Schularbeit sprach: nämlich medizinisches Wissen zu demokratisieren und an so gut wie jeden Ort auf der Welt zu bringen.
Für mich ist das Interessante an KI, dass es überall, wo ich hinkomme und über dieses Thema spreche, immer eine Person gibt, die es liebt – und eine, die es hasst. Es löst Euphorie aus – genau so, wie es Ängste schürt. Was denkst Du, warum ist das so? Warum haben wir so viel Angst vor KI?
Katharsis als medialer Ansatz funktioniert sehr gut. Mindestens drei Titelseiten des Spiegel-Magazins haben sich mit Robotern oder künstlicher Intelligenz befasst, die unsere Jobs übernehmen. Andere glaubten der Oxford-Studie von Frey und Osborne aus dem Jahr 2013, die vorhersagte, dass durch KI die Hälfte aller Berufe wegfallen würde. Viele andere Forscher und ich sind mit diesen Prognosen nicht einverstanden, da sie auf falschen Annahmen beruhen und eine verzerrte Vorstellung davon vermitteln, wie wir KI in der Gesellschaft einsetzen werden. Die Studie war schürte Wut, Angst und Aufregung: ideale Inhalte für Clickbait-Schlagzeilen, die unsere Aufmerksamkeitsökonomie bedienen. Medien verstärken Geschichten, um ihre Werbeeinnahmen zu steigern, die durch die Anzahl der Clicks, Likes und Shares angekurbelt werden.
Doch das Problem ist noch etwas größer: Wir brauchen positive Erzählungen (nicht nur) zu KI, die zu einer wünschenswerteren Zukunft führen. Welche Art von Zukunft wünschen wir uns für unsere Kinder und die Gesellschaft? Wünschen wir uns eine Zukunft, in der die Technologie uns befreit? Wollen wir globale Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung beseitigen, in denen der Ort meiner Geburt nicht mehr darüber entscheidet, ob ein Kind lebt oder stirbt, wenn es zum Beispiel eine seltene genetische Krankheit hat? Wollen wir, dass die Vorteile der KI in erster Linie der Gesellschaft zugutekommen oder den Konzernen?
Eines ist sicher: Wenn wir Barrieren um lebensrettende Erkenntnisse errichten, die von KI aus unseren Daten gewonnen werden, werden wir diese wünschenswerten Zukunftsszenarien nicht erreichen. Um voranzukommen, müssen wir die medizinische KI auf die gleiche Weise entwickeln, wie wir das Internet offen und für alle zugänglich machen wollten.
Der heutige Diskurs konzentriert sich zu sehr auf die Wirtschaft. Das Thema, das mich in den letzten Jahren beschäftigt hat, ist daher die Frage, wie wir den gesellschaftlichen Nutzen maximieren und gleichzeitig die wirtschaftlichen Möglichkeiten fördern können.
Was begeistert dich in deinem heutigen Tätigkeitsfeld am meisten an KI?
Vereinfacht kann man sagen, dass KI in der Medizin auf zwei Arten funktioniert. Erstens erschließt sie das Wissen, das in unseren Datenbergen schlummert. Damit hilft sie bei der Beschleunigung von Forschung und Innovation. Im Gesundheitswesen kann dies zum Beispiel neue Behandlungen und Therapien bedeuten. Zweitens: Wenn wir KI nutzen, können wir sie fast überall einsetzen. Als ein Großteil unserer heutigen Technologien entwickelt wurden, folgten sie einem Gesetz, das als Moore'sches Gesetz bekannt ist. Jemand, der heute in Nigeria lebt, hat Zugang zu mehr Informationen als Präsident Clinton vor 15 Jahren. Und wenn er ein optisches 3D-Druckgerät einsetzt und einige Algorithmen des maschinellen Lernens verwendet, kann er HPV-Infektionen präziser erkennen als diejenigen, die Pap-Test und Zytologie fast umsonst verwenden. Das fasziniert mich vor allem an Technologie.
Offene und dezentralisierte Technologien haben uns alle befähigt. Stell dir vor, was passieren könnte, wenn wir die medizinische KI demokratisieren würden? Mich motiviert dieser Aspekt der Demokratisierung, denn er würde uns in die Lage versetzen, eine Gesellschaft ohne gesundheitliche Ungleichheiten aufzubauen und neue wirtschaftliche Wertebenen zu entwickeln, die auf einer Erfahrungsebene miteinander konkurrieren. Dies ist eine realistische Vision, denn die meisten Ungleichheiten beruhen auf Wissensasymmetrien.
Ein Beispiel war die Impfdiskussion bei Covid-19. Zu dem Zeitpunkt, als wir über unsere dritte Auffrischungsimpfung nachdachten, hatten nur fünf Prozent der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent Zugang zu Impfungen. Erst vor kurzem haben Akademiker Open-Source-Impfungen für Länder mit niedrigem Einkommen veröffentlicht.