Die Pflege von Angehörigen kann jeden betreffen


Katja Hanning, Diversity-Managerin bei ERGO, im Interview

Magazin, 03.12.2020

Wenn ein Mensch plötzlich pflegebedürftig wird, ist das eine Ausnahmesituation für die gesamte Familie. ERGO bietet Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch in diesen schwierigen Zeiten Unterstützung an. Verantwortlich für den Bereich Pflege ist Katja Hanning aus dem Diversity-Team.

Interview mit Diversity Managerin Katja Hanning

Frau Hanning, was genau machen Sie im Diversity-Team bei ERGO?

Hanning: Ich berate werdende Eltern und pflegende Angehörige. Kurz gesagt: Ich kümmere mich um alles, was mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun hat. Dazu gehört auch die Pflegeberatung.

Das Thema Pflege ist ja ein sehr sensibles Thema. Warum?

Hanning: Viele Menschen, die das Thema betrifft, möchten nicht so gerne darüber sprechen. Sie befürchten, dass man sie im Unternehmen als nicht mehr so belastbar wahrnimmt. Auf der anderen Seite benötigen gerade diese Mitarbeitenden Hilfe und sind dankbar, dass es für sie eine Anlaufstelle im Unternehmen gibt. Beim Thema Pflege denkt man häufig erst mal an ältere Menschen. Es kann aber auch sein, dass das eigene Kind, die Partnerin oder der Partner pflegebedürftig ist.

Wie können Sie Menschen helfen, die mit dem Thema Pflege konfrontiert werden?

Hanning: Grundsätzlich möchten wir die Mitarbeitenden bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen. Dabei sind mit Familie nicht nur Kinder gemeint, sondern auch beispielsweise die pflegebedürftigen Eltern. ERGO bietet dabei Hilfen in verschiedene Richtungen an. Erst einmal ist es wichtig zu wissen, dass das Thema Pflege überhaupt im Fokus steht und es jemanden wie mich im Unternehmen gibt, den man ansprechen kann. Das gab es vor zehn Jahren noch nicht.

Die Kolleginnen und Kollegen, die zu mir kommen, erzählen erst einmal von ihrer Situation. Da hat sich oft viel Druck aufgebaut – sowohl emotional als auch körperlich. Dann schauen wir gemeinsam, wie wir die Situation konkret erleichtern können. Ich führe solche intensiven Gespräche nicht jede Woche, vielleicht einmal im Monat. Ansonsten kann ich auch mit kürzeren Auskünften unterstützen. Es wird in jedem Fall immer mehr.

Die finanziellen Fragen zum Thema Pflege sowie die Suche nach einer Betreuung ist ein sehr komplexes Thema. Wir haben uns dafür die Pflegeberatung WDS.care mit ins Boot geholt, an die sich unsere Mitarbeitenden kostenlos rund um die Uhr telefonisch wenden können. Es können auch Beratungstermine vereinbart und Kurse besucht werden.

Unvorhersehbar kann es passieren, dass sich beispielsweise der Zustand der Eltern auf einmal so verschlechtert, dass sie Pflege brauchen. Die meisten Menschen trifft so etwas unvorbereitet und sie müssen die neue Situation im Privatleben mit dem Beruf unter einen Hut bringen. Was können Sie da tun?

Hanning: Wenn kurzfristig eine Pflege organisiert oder die pflegerische Versorgung sichergestellt werden muss, können sich die Mitarbeitenden bis zu zehn Tage frei nehmen in Anlehnung an die Regelung der Pflegeversicherung – allerdings im Unterschied dazu ohne Gehaltsabzug und unbürokratisch. Darüber hinaus gibt es verschiedene Möglichkeiten, Zeit zu gewinnen, die in dieser Phase ganz wichtig ist. Zum Beispiel kann es eine Lösung sein, das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld in Freizeit umzuwandeln – unsere flexibelste Maßnahme beim Thema Zeitgewinnung.

Damit entsteht ein freies Stundenkontingent für das Organisieren der neuen Situation oder die Begleitung von Arztbesuchen. Längerfristig kann eine befristete Teilzeit eine Möglichkeit sein, so dass man nach Ablauf des Zeitraumes automatisch wieder Vollzeit arbeitet.

Bei der „Familienzeit“ wird es dann schon ernster. Liegt ein Angehöriger im Sterben, kann der Mitarbeitende sofort zu Hause bleiben und bekommt während dieser Zeit und den gleichen Zeitraum danach durchgehend die Hälfte seines Gehaltes. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, in dieser Situation beispielsweise bei dem Vater zu sein und sich ganz auf ihn und die Situation konzentrieren zu können, ohne den Druck zu haben, was das Zeitkonto anzeigt.

Warum ist es so wichtig, dass Unternehmen wie ERGO sich so um das Thema Pflege bei ihren Mitarbeitern kümmern? Sie haben mal von einer „pflegesensiblen Unternehmenskultur“ gesprochen…

Hanning: Der Begriff passt sehr gut, denn Unternehmen müssen ein großes Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeitenden nicht durch die psychische und physische Belastung über kurz oder lang krank werden, die durch die Pflegesituation eintritt.

Wie sind denn eigentlich die Reaktionen der Mitarbeitenden, mit denen Sie sprechen?

Hanning: Mir wird eine sehr große Dankbarkeit entgegengebracht. Dankbarkeit und Erleichterung, weil die Mitarbeitenden das Gefühl haben, dass ERGO hinter ihnen steht und Möglichkeiten der Unterstützung anbietet. Erstaunlicherweise sind diese Gespräche – obwohl man sich ja fremd ist – sehr schnell sehr persönlich und emotional. Manchmal erzählen sie mir dann sogar Sachen, die sie sonst niemandem erzählen.

Es kann auch mal passieren, dass sie anfangen zu weinen, sodass ich auch fast mitweinen muss. Aber die Dankbarkeit ist sehr groß, dass da jemand ist, der ihnen zuhört und Lösungen anbietet. Die Gespräche beschäftigen mich natürlich auch persönlich. Aber sie belasten mich nicht, weil ich helfen konnte. Wenn es den Kolleginnen und Kollegen hinterher bessergeht, dann ist es ein sehr gutes Gefühl.

Wie reagieren die Vorgesetzten von Mitarbeitenden, die sich öffnen und Hilfe in Anspruch nehmen?

Hanning: In der Regel gibt es großes Verständnis für die Mitarbeitenden. Denn es kann ja jedem passieren, dass er plötzlich seine Angehörigen pflegen muss. Das wissen auch die Führungskräfte. Teilweise haben sie es selbst schon erlebt. Wichtig ist, dass man konstruktive Lösungen für alle Seiten findet. Und da helfe ich gerne.

Was muss sich aus Ihrer Sicht noch tun im Bereich der Pflegeberatung?

Hanning: Das Thema Pflege darf nicht mehr so stigmatisiert werden. Ich würde mir wünschen, dass es offener angesprochen wird. Ein Netzwerk wie das ERGO Inklusionsnetzwerk, in dem sich auch pflegende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter austauschen, ist ein guter Schritt. Denn so können Menschen gegenseitig Erfahrungen austauschen und Hemmungen abbauen.

Was sagen Sie Menschen, die genau in diese Situation gekommen sind, sich mit der Pflege ihrer Angehörigen beschäftigen zu müssen?

Hanning: Haben Sie keine Angst und keine Scham. Lassen Sie sich helfen. Die Gespräche mit uns sind total vertraulich. Wichtig ist, dass Sie sich frühzeitig informieren, um besser vorbereitet zu sein.

Das Interview führten Stefanie Neumann und Benjamin Esche.

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