Gut und nachhaltig leben – wie geht das eigentlich, Herr Herrndorf?


Magazin, 28.01.2020

Martin Herrndorf ist Volkswirt und Soziologe. Er arbeitet zu nachhaltigem Wandel und Lebensstilen. Er lebt in Köln, wo er das „Colabor – Raum für Nachhaltigkeit“ gegründet hat. Bei ERGO in Köln hat er vor Mitarbeitern darüber referiert, was Nachhaltigkeit für das Leben des Einzelnen bedeuten kann.

Martin herrndorf 

In Köln organisieren Sie seit einigen Jahren den „Tag des guten Lebens“, einen autofreien Sonntag. Allein der Verzicht auf das Auto in einer Großstadt macht ja kein gutes Leben an sich aus. Wie definieren Sie das „gute Leben“?

Eine generelle Definition, die für alle gilt, kann es nicht geben, das muss jeder für sich herausfinden. Für uns gilt aber, dass ein gutes Leben auf Kosten von anderen Menschen kein gutes Leben sein kann. Ein gutes Leben muss die Chancen der folgenden Generationen bewahren, ebenfalls ein gutes Leben hinzubekommen. Das ist ja auch eine Forderung der Fridays-for-Future-Bewegung. Jeder von uns ist verantwortlich für sein Tun – oder eben Nicht-Tun. Wir können vielen Entscheidungen in diesem Kontext treffen: Fahrrad statt Auto, unverpackte Ware statt Plastikverpackung, vegane Lebensweise oder Fleischkonsum. Jeder von uns kann einen Beitrag leisten und Verantwortung für die Welt übernehmen. Wer den eigenen Lebensstil umstellt, kann auch andere inspirieren und mitreißen.

Das kann auch mit Verzicht zu tun haben: Ich bin überzeugt, dass wir Maß halten müssen in vielerlei Hinsicht und, ja, das bedeutet auch, etwas eben nicht zu machen.

Das scheint aber auf den ersten Blick schwer zu vermitteln. Etwas nicht zu machen, zu verzichten, das soll glücklich machen?

Sie müssen das richtig anpacken und die Perspektive wechseln. Den zähneknirschenden Verzicht halten wir meist eh nicht durch. Das ist wie das Training im Fitness-Studio. Wenn Sie dabei wirklich leiden, machen Sie das nicht dauerhaft. Und viele andere auch, die jetzt zum Jahresbeginn gute Vorsätze haben und sich zum Sport anmelden. Und um vom Verzicht zum guten Leben zu kommen: Das gute Leben ist, wenn das, was Sie heute noch für Verzicht halten, Ihnen irgendwann Spaß macht. Wenn ein „Weniger“ an Konsum ein „Mehr“ an Glück bedeutet.

Und wie geht das, mehr Glück mit weniger Konsum?

Die Glücks- und Zufriedenheitsforschung hat da ganz gute Tipps. Ich nenne Ihnen gern vier wesentliche Aspekte. Erstens: Erleben und Erfahren macht glücklicher als Kaufen und Besitzen. Was haben Sie alles in Ihren Schränken und Stauräumen liegen, was Sie mal irgendwie gekauft haben, was Sie heute möglicherweise belastet? Und wie glücklich machen Erfahrungen und Erlebnisse, die Sie immer wiederholen können und an die Sie sich erinnern? Zweitens: Aktivitäten mit zu bewältigender Anstrengung und Herausforderung machen dauerhaft glücklicher als solche, die mühelos sind. Fangen Sie an! Lernen Sie Italienisch und fahren Sie nach Italien, statt sich irgendwo an den Pool zu legen. Drittens: Gemeinschaft macht glücklicher als Isolation. Es macht uns zufrieden, wenn wir mit anderen Menschen schöne Dinge machen, gute Erfahrungen teilen und gemeinsam Herausforderungen angehen. Und viertens: Werden Sie aktiv, engagieren Sie sich! Wer sein Umfeld aktiv und gemeinsam mit anderen gestaltet, wird glücklicher sein als der, der es leise und still erträgt. Fangen Sie an, wechseln Sie die Perspektive. Dann ist es möglich, das gute und nachhaltige Leben.

Interview: Monika Stobrawe

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