Dein Weg Monika Richrath: Mit dem Berufsleben hatte ich schon abgeschlossen

2009 war das Jahr, in dem mein Leben aufhörte, das berufliche zumindest. Das dachte ich jedenfalls. Als ich eines Tages die Kündigung meines Arbeitgebers im Briefkasten fand, war ich einfach nur erleichtert. Endlich Schluss! Ich war am Ende meiner Kräfte. Mir war damals sehr bewusst, dass ich mich schon seit mindestens 2 Jahren in einem verschleppten Burnout befand, in das ich sozusagen sehenden Auges geschliddert war, ohne ihm Einhalt gebieten zu können.

Es war beileibe nicht mein erstes Burnout, sondern bereits das dritte! Und das obwohl ich seit Jahren zusätzlich zu den Urlaubstagen erhebliche Krankenstände hatte, fast von Anfang an eigentlich. In guten Monaten fiel ich vielleicht nur 1-2 Tage aus, in schlechten Monaten konnten das aber auch schon einmal 14 Tage sein. Natürlich haben das nicht alle Arbeitgeber mitgemacht.

Damals wusste ich nicht, dass ich hochsensibel bin und einfach nicht in der Lage, die gleichen physischen Leistungen zu erbringen wie andere. Ich gab mir erdenkliche Mühe und versuchte die vielen Fehlzeiten durch besonders schnelles Arbeiten wieder auszugleichen. Das verschlimmerte die Lage nur noch weiter. Ich hatte 1995 schon ein Buch zum Thema Hochsensibilität gelesen „Sind sie hochsensibel?“, das erste, damals auf dem deutschen Markt erhältliche Buch. Ich hatte mich in nur zwei Tagen hindurch gefräst und es war wie eine Offenbarung, endlich die Erklärung dafür, warum ich so war, wie ich war, so extrem empfindlich, alles so schwernahm, so schlecht wieder loslassen konnte, warum ich wochenlang über einfach dahingeworfene Bemerkungen nachgrübeln konnte, nicht so leistungsfähig war wie die anderen, dauernd erschöpft war. Es erklärte auch, warum ich so viele Auszeiten brauchte.

Ich verstand jedoch nicht, dass dies auch die reißenden Ganzkörper-Schmerzen erklärte, die mich immer öfter und öfter befielen.

Ich verstand über lange Jahre hinweg nicht (1995 hatte ich das Buch über Hochsensibilität gelesen), dass nur von Hochsensibilität zu wissen, nicht genug ist. Schmerzlich habe ich erfahren müssen, dass das ganz entscheidende an der Hochsensibilität ist, wie man mit ihr umgeht, bzw. wie viel Raum man ihr gibt. Oder anders: Heute bin ich davon überzeugt, dass man Hochsensibilität wirklich gut leben kann, wenn man bereit ist, sein Leben entsprechend zu gestalten, also das Leben an der Hochsensibilität ausrichtet, statt die Hochsensibilität in ein Leben zu pressen, das ihr nicht gerecht wird und sich nur an anderen orientiert.

Davon konnte bei mir zwischen 1995 und 2008 überhaupt keine Rede sein. Ich tat alles, was ich konnte, um den an mich gestellten Anforderungen zu genügen, obwohl ich schon lange wusste, dass mich mein Beruf als Fremdsprachenassistentin nicht erfüllte, auch wenn er mir Spaß machte. Insgeheim träumte ich davon, anderen Menschen zu helfen, zu sich selbst zurückzufinden. Ich wusste, dass ich darin gut war. Schon viele Menschen hatten mir gesagt, dass ich tolle Fragen stellen konnte. Aber ich hatte keine Ahnung, wie sich damit Geld verdienen ließ und natürlich hatte ich viele, viele Zweifel, warum Menschen gerade denn zu mir kommen sollten? Hatte ich anderen wirklich etwas zu geben? Schließlich bot mein Beruf mir eine gewisse finanzielle Sicherheit, auch wenn alles andere schon lange nicht mehr stimmte.

Bis der Tag kam, an dem mir alle Entscheidungen aus der Hand genommen wurden. Ich bekam eine echte Grippe. Zum ersten Mal seit über 20 Jahren über 39° Fieber. Ich war zwar nur einen Tag lang wirklich krank, aber danach fiel ich in einen tiefen Erschöpfungszustand und war einfach nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Hin und wieder unternahm ich einen Versuch für ein paar Stunden ins Büro zu fahren, um dann wieder eine Woche lang zuhause bleiben zu müssen. Oft war ich so erschöpft, dass ich nicht einmal aus dem Haus gehen konnte. Ich konnte einfach nicht mehr. Und ich wollte auch nicht mehr. Innerlich hatte ich mit dem Berufsleben schon abgeschlossen. In der Zwischenzeit hatte ich auch akzeptiert, dass ich in den üblichen Bürostrukturen einfach nicht existieren konnte, alleine die physischen Anforderungen waren viel zu hoch durch den permanenten Stress, der meine Arbeitstage bestimmte, die Launen von Vorgesetzten, der Arbeitsdruck, das ständig klingelnde Telefon, unsinnige Arbeitsaufgaben …

Ich würde einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen, das war mein Plan. Ich würde eben für den Rest meines Lebens mit sehr wenig Geld auskommen müssen. Hauptsache, nie wieder arbeiten gehen!

Es kam dann aber alles ganz anders. Zunächst stellte sich heraus, dass meine Schmerzen und mein Erschöpfungszustand einen Namen hatten: eine chronische Schmerzkrankheit namens Fibromyalgie – an der übrigens auch meine Mutter schon gelitten hatte, wie ich mich dann erinnerte.

Ich war sehr lange krankgeschrieben, wurde anschließend zu einer Reha-Maßnahme in die Nähe von Wiesbaden geschickt, in eine psychosomatische Klinik. Ich ließ mich dort von den Ärzten beschwatzen, es doch noch einmal mit einer beruflichen Rehabilitation zu versuchen und darauf zu bestehen, dass ich nur noch halbtags arbeiten könne. An der Reha-Maßnahme habe ich dann auch wirklich teilgenommen. Sie dauerte ein ganzes Jahr und ich war zunächst voller Zuversicht, dass ich eine Stelle im Bereich Buchhaltung oder Personalwesen finden könnte (was beides Bereiche waren, die mich interessiert hätten, Hauptsache, kein Office-Management mehr). Zwischen meiner Grippe-Erkrankung und der Maßnahme war viel Zeit vergangen und in mir war die Überzeugung herangereift, dass ich es doch noch einmal mit einer Halbtagsstelle probieren könnte. Es ging mir gesundheitlich besser, das Kind hatte nun einen Namen, ich bekam die eine oder andere Therapie und bemühte mich, besser für mich zu sorgen und mit meinen Kräften hauszuhalten.

Während der einjährigen Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation begann ich, meine Fühler auszustrecken, absolvierte eine Coaching-Ausbildung im Fernstudium und begann eine Ausbildung in Klopfakupressur. Eine Technik, die mich schon bei der ersten Begegnung Anfang der 1990er elektrisiert hatte und die ich ab Mitte 2009 täglich anwandte. Dabei klopft man mit den Fingern bestimmte Punkte auf dem Körper und sagt dabei einen belastenden Satz, der sich dann nach einiger Zeit verändert oder auflöst. So klopfte ich mich buchstäblich in ein anderes Leben hinein. Ich fand heraus, dass ich gar nicht die depressive, misstrauisch, sozial total gestörte Person war, für die ich mich gehalten hatte. Ganz im Gegenteil, ich entdeckte meine fröhliche, optimistische und äußerst vertrauensvolle Seite. Ich fand auch heraus, dass, obwohl ich ein sehr introvertiertes Naturell habe, eine wirkliche Teamplayerin und Netzwerkerin bin, die sich gerne mit anderen verbindet und verbündet.

Auch meine Zweifel hinsichtlich meiner Eignung als Unterstützerin haben sich so nach und nach aufgelöst und irgendwann war einfach klar: ich werde Coach, egal, was kommt. Die Idee, hochsensible Menschen zu coachen stieg eines Tages auf einer Veranstaltung für hochsensible Menschen in mir auf. Ich wusste sofort, das wars: ich werde Coach für hochsensible Menschen! Ich wollte andere darin unterstützen, besser mit Hochsensibilität umzugehen. Es gibt so viele hochsensible Menschen und die meisten wissen nichts von ihrer Veranlagung und haben daher einen Riesendruck … und es war auch sofort klar, dass ich nur mit Privatmenschen arbeiten wollte.

Mein ursprünglicher Plan war, halbtags als Coach zu arbeiten und Ewerbsminderungsrente zu beziehen. Ich hatte sogar schon einen Antrag zur Erwerbsminderung abgeschickt! Dann aber überstürzten sich wieder einmal die Ereignisse. Die beiden Praktika, die ich im Rahmen meiner beruflichen Rehabilitation absolvieren musste, waren der totale Horror und haben mir vor allem eins gezeigt: ich würde nie wieder in diesem Bereich Fuß fassen, ja, ich WOLLTE in diesem Bereich nicht wieder Fuß fassen. Dazu kam noch, dass ich bei einer Informationsveranstaltung der Stadt Bonn erfuhr, dass die Bundesregierung plante, die Förderung Selbstständiger umzustrukturieren und erheblich zu beschneiden. Jetzt oder nie also! Innerhalb eines Tages warf ich meine ganze Lebensplanung über den Haufen. Am nächsten Tag schrieb ich an die Rentenversicherung, pfiff meinen Antrag zurück und meldete mich beim Finanzamt als Selbstständige in Vollzeit.

Es kam dann aber erst einmal alles ganz anders als gedacht. In meiner Naivität hatte ich geglaubt, die hochsensiblen Menschen würden mir in Scharen die Türen einlaufen. Dem war nicht so.

Außerdem hat sich schnell herausgestellt, dass ich nun mindestens genauso viel arbeiten muss wie vorher, wenn nicht sogar mehr. In der Regel arbeite ich sogar am Samstag und eine Schicht am Abend ist auch nicht ungewöhnlich. Das macht aber gar nichts. Dadurch, dass ich meinen Arbeitsalltag selbst organisieren kann, hat er ganz andere Strukturen, die das, was für mich wichtig ist, berücksichtigen. Mittags koche ich mir zum Beispiel eine richtige Mahlzeit und lege mich anschließend hin. Manchmal mache ich eine sehr lange Pause und fange am Abend noch einmal an. Vor kurzem habe ich meine Woche umstrukturiert, meine Kliententermine finden jetzt nur noch von Dienstag bis Donnerstag statt (manchmal freitags), aber der Montag und Freitag sind weitgehend frei für meine eigenen Belange und das fühlt sich sehr gut an. Manchmal mache ich auch einfach einen Tag frei.

Mittlerweile weiß ich, dass ich mehrere Autoimmunkrankheiten habe: Neben der Fibromyalgie hat sich irgendwann in dieser Zeit der die Schilddrüsenerkrankung Hashimoto reaktiviert, als es besonders stressig war. Außerdem weiß ich nun, dass ich an einer Nebennierenschwäche leide. Ich vermute aber, dass diese aufgrund der grundsätzlichen Überforderung schon lange latent vorhanden war und durch die Krankheit und den Tod meiner Mutter im Februar 2016 einen ordentlichen Schub erhielt. Darüber hinaus habe ich herausgefunden, dass ich eine Stoffwechselstörung namens HPU (Hämopyrrollactamie) habe. Seit einiger Zeit bin ich in Behandlung bei einer Heilpraktikerin und bin guten Mutes, dass ich irgendwann auch mal ohne naturheilkundliche Mittel auskomme. Ich habe es gelernt, mit meinen Krankheiten zu leben. Durch das Klopfen habe ich viele emotionale Themen auflösen können, was sich sehr positiv auf meine Schmerzen auswirkt. Ich bin zwar nicht komplett schmerzfrei, aber oft.

Aufgeben kam für mich niemals in Frage, auch wenn ich am Anfang nicht sehr viele Kunden hatte. Denn selbst, als der finanzielle Erfolg auf sich warten ließ, war relativ schnell klar, dass ich selbst mit meiner Arbeit erfolgreich bin. Viele Menschen freuen sich, wenn sie mit der Klopftechnik in Berührung kommen und erfahren, wie einfach es sein kann, dafür zu sorgen, wieder „herunterzukommen“ und vor allen Dingen das eigene Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Viele hochsensible Menschen leiden unter dem Eindruck, ausgeliefert und wehrlos zu sein.

Öfter bekomme ich wirklich rührende E-Mails von Menschen, die mir schreiben, dass es ihr Leben verändert hat, mich im Netz zu finden. Das hätte ich mir selbst niemals so träumen lassen …

Da das Weiterbildungsangebot der IHK sich überhaupt nicht auf den Coachingbereich mit seinen ganz eigenen Anforderungen bezieht, habe ich meine berufliche Weiterbildung selbst in die Hand genommen und mich im Internet schlau gemacht, worauf es ankommt und versucht, nach und nach alles Wichtige umzusetzen. 2014 habe ich begonnen, nun wirklich ernsthaft wöchentlich zu bloggen. Das ist eine ganz schöne Herausforderung, aber auch eine große Freude. Ich schreibe über alles, was für hochsensible Menschen interessant sein könnte: Gesundheit, Hochsensibilität, Klopfakupressur, Buchrezensionen, Interviews mit hochsensiblen Menschen, oder ich erzähle einfach etwas aus meinem Leben … die Ideen gehen mir nicht aus – ganz im Gegenteil, je mehr ich schreibe, umso mehr Ideen habe ich …

Mein Blog blüht und gedeiht. Mittlerweile habe ich zwischen 500 und 1000 Besucher am Tag!

Obwohl ich mich schon vor fünf Jahren selbstständig gemacht habe, kommt es mir in gewisser Weise so vor, als sei es erst vor kurzem gewesen. Ich habe noch so viel vor!

Mehr Informationen zum Projekt findet Ihr hier:

https://www.eft-fuer-hochsensible-menschen.de/

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